Raus aus dem Hörsaal

Saarbrücken. Sabrina sitzt gerade mitten in ihrer Vorlesung, da klingelt das Handy. Sie nimmt ab und telefoniert eine halbe Stunde mit ihrer Freundin. Den Dozenten stört das nicht, ihn hat sie einfach auf Pause geschaltet. Sabrina sitzt nicht im Uni-Hörsaal, sondern in ihrem Zimmer vor dem Laptop. Die Vorlesung ist ein Video, aufgezeichnet von ihrem Dozenten

Saarbrücken. Sabrina sitzt gerade mitten in ihrer Vorlesung, da klingelt das Handy. Sie nimmt ab und telefoniert eine halbe Stunde mit ihrer Freundin. Den Dozenten stört das nicht, ihn hat sie einfach auf Pause geschaltet. Sabrina sitzt nicht im Uni-Hörsaal, sondern in ihrem Zimmer vor dem Laptop. Die Vorlesung ist ein Video, aufgezeichnet von ihrem Dozenten. Welche Lerneinheiten sie wann abarbeitet, bestimmt sie selbst. So könnte das Lehren und Lernen an Universitäten weltweit bald aussehen, ist Andreas Zeller überzeugt, Professor für Softwaretechnik an der Universität des Saarlandes.

Die Idee von Vorlesungen, die über das Internet gezeigt werden, ist nicht neu, sagt Zeller. "Allerdings erfordern abgefilmte Vorlesungen ein hohes Maß an Selbstdisziplin." Es fehle an Interaktivität und eine Vorlesung einfach per Video anzuschauen, sei nicht viel besser, als sich gleich in den Hörsaal zu setzen. "Das Konzept der Vorlesung ist außerdem nur praktisch für den Dozenten", sagt Andreas Zeller. Der Student müsse dem Tempo des Dozenten folgen und habe in der Regel auch keine Möglichkeit zur Nachfrage. Das führe nicht zum Erfolg. "Ich kann Weltklasseschwimmer Michael Phelps ewig beim Schwimmen zusehen und danach hoffen im Becken zu überleben. Man muss die Leute schwimmen lassen, damit sie es lernen", beschreibt Zeller das Problem der fehlenden Praxis im klassischen Vorlesungskonzept.

Deshalb sei an der Universität Stanford ein ganz neues Vorlesungskonzept entwickelt worden. Es basiert auf einzelnen Videos, die nicht Dozenten an einem Pult im Hörsaal zeigen, stattdessen sehen die Studenten eine digitale Tafel, an der die Kursinhalte erklärt werden. Erreichbar sind die Kurse über die englischsprachige Plattform udacity.com. "Während die Vorlesungsinhalte skizziert werden, erklärt der Dozent die Thematik so, als stünde er direkt neben einem. Das erzeugt eine sehr intime Lernsituation", so Zeller, "Hat man etwas nicht genau verstanden, kann man einfach zurückspulen und es sich nochmal erklären lassen." Damit kombiniere dieses neue Vorlesungskonzept die besten Teile aus dem Lehrbuch, der Vorlesung und den Übungsgruppen. Nach etwa zwei Minuten erfolgt in den Videos ein Test. Dieser kann aus Multiple-Choice-Fragen bestehen oder einer praktischen Prüfung - so wird in einem Informatikkurs beispielsweise eine Programmierumgebung im Browser geöffnet, in der der Student einen Programmcode schreiben muss. Erst wenn der Test erfolgreich abgeschlossen wurde, startet die nächste Lerneinheit. "So wird das erlernte Wissen direkt abgefragt und der Student sieht, ob er den Stoff verstanden hat", sagt Andreas Zeller. Das könne keine normale Vorlesung leisten und auch keine aufgezeichnete.

In den USA werden solche Kurse immer beliebter. "Ein Semester kann dort zwischen 25 000 und 30 000 Euro kosten. Da sind kostenlose Kurse renommierter Professoren schon eine große Konkurrenz für die Universitäten", meint Zeller. Auch in Deutschland sind Online-Kurse sehr gefragt. Das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam hat für einen Ausbildungs-Kurs für eine Datenbanktechnik rund 13 000 Anmeldungen erhalten. Selbst aus Mikronesien und Costa Rica gibt es Teilnehmer. Die jüngsten gaben ihr Alter mit 13 Jahren an, der älteste Teilnehmer ist 91.

Andreas Zeller wird seine Informatik-Vorlesungen im nächsten Semester an der Saar-Uni auch in Form von Online-Kursen anbieten. "Die Studenten machen sieben Wochen lang die Online-Vorlesung und werden bei Fragen von einem meiner wissenschaftlichen Mitarbeiter betreut. Danach beginnen sie mit verschiedenen Projekten", so Zeller. Das habe den Vorteil, dass alle Studenten von Beginn an über das gleiche Grundwissen verfügten und sich die Arbeit an der Universität viel stärker auf die Forschung und Entwicklung konzentrieren könne. Das habe vor allem Vorteile für die Studenten meint Zeller: "Die Dozenten können sich so viel individueller um ihrer Studenten kümmern, da ihnen die Zeit durch Vorlesungen nicht mehr verloren geht."

An der Saar-Uni herrsche großes Interesse an solchen Online-Kursen als Ersatz für konventionelle Vorlesungen. Auch für die Geisteswissenschaften wäre eine Umsetzung denkbar, meint Zeller. "Es passiert gerade eine Revolution und wir sind mitten drin."Foto: UdS

"Es passiert gerade eine Revolution und wir sind mitten drin."

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