Historiker von Saar-Uni erklärt Kleine Geschichte der Ukraine: Eigene Sprache und Kosaken-Aufstände

Saarbrücken · In der Rede vom 21. Februar 2022 hat Wladimir Putin der Ukraine ihr Existenzrecht und eine eigene Vergangenheit abgesprochen. Mehr als ein guter Grund, einmal auf die Vergangenheit der Ukraine zu blicken. Teil 2: Streit um das Erbe der Rus, Kosaken und das „Armenhaus Europas“.

 In der Ukraine spielen Kosaken geschichtspolitisch eine bedeutende Rolle: So erinnert das Bohdan Chmelnyzkyj-Denkmal in Kiew an den Aufstand der Saporoger Kosaken im 17. Jahrhundert.

In der Ukraine spielen Kosaken geschichtspolitisch eine bedeutende Rolle: So erinnert das Bohdan Chmelnyzkyj-Denkmal in Kiew an den Aufstand der Saporoger Kosaken im 17. Jahrhundert.

Foto: imago images/Loop Images/imago stock

Im 15. bis 17. Jahrhundert kämpften die beiden Länder Litauen und Moskau um das Erbe der alten Kiewer Rus. Das Recht Moskaus auf den Besitz der ukrainischen und weißrussischen Gebiete war im Übrigen schon von Zar Iwan III. (1462-1505) begründet worden. Doch auch die Herrscher von Litauen sahen sich als Erben der Rus, was sich an ihrem Titel ablesen lässt: Großfürst von Litauen, Sarmatien und der Rus. Seit dem 15. Jahrhundert wuchs die Macht des Großherzogs von Moskau, während die Macht des litauischen Großherzogs allmählich schwächer wurde – auch aufgrund dessen setzte sich am Ende Moskau als Erbe der Rus durch. Beide Staaten/Großherzogtümer wiesen zudem unterschiedliche sozio-politische Strukturen auf. Während Litauen Merkmale des europäischen Feudalismus trug, schloss hingegen in Moskau das System der Ämterbesetzung den Herrscher nicht ein – er schwebte gleichsam über ihm. Wir haben also einen Gegensatz zwischen dem föderativ organisierten (Polen-)Litauen und einem zentralisierten autokratischen Moskau.

In Osteuropa herrschte auch eine historisch bedingte besondere Form der Zweisprachigkeit, bei der es eine funktionale Anwendung unterschiedlicher, aber verwandter Sprachen für differierende Lebensbereiche gab. Das Altkirchenslawische war dabei nicht nur Liturgiesprache, sondern entwickelte sich auch zur Literatursprache. In einigen altostslawischen Texten aus der südlichen Rus sind zwischen dem 10. und dem 14. Jahrhundert auch bereits einige Spezifika des Ukrainischen auszumachen. Die ukrainische Schriftsprache erfuhr aber erst spät eine erste überregionale Kodifizierung mit der 1907 von Jevhen Tymcenko vorgelegten Grammatik. Auch gegenwärtig gilt, dass die ukrainische Normsprache außerhalb der Westukraine eher die Zweitsprache der Ukrainer ist. Stattdessen dominiert eine russisch-ukrainische Mischform, das sogenannte Surschyk.

In der Ukraine zieren Bilder von Kosaken viele Artikel des täglichen Gebrauchs und spielen als geschichtspolitische Stiftung eine bedeutende Rolle – etwa der Aufstand der Saporoger Kosaken unter Bohdan Khmelnyzkyj. Mit großer Selbstverständlichkeit werden die Kosaken im ukrainischen Kontext als nationale oder ethnische Gruppe definiert, obwohl ihnen gerade kein ethnischer Kern innewohnte. Es handelte sich um ein Sammelbecken der Unzufriedenen und Unfreien ganz verschiedener Nationalitäten.

Das habsburgische Galizien spielt in der nationalen Mythologie der Ukrainer eine große Rolle. Es fungiert als ein „Piemont!, in Analogie zu der oberitalienischen Region, in der der Prozess des Risorgimento seinen Anfang nahm. Dort gelang es den Ukrainern unter dem im Vergleich mit Russland liberalen Regime Habsburgs, die Idee eines eigenen nationalen Projektes voranzutreiben. Die ukrainische Bevölkerung war vor allem bäuerlich geprägt und Galizien galt als das „Armenhaus Europas“. Aufgrund dessen wurden die Ukrainer bei der politischen Partizipation ausgegrenzt. So zählte etwa eine ukrainische Stimme nur halb so viel wie eine polnische. Der Anteil der Ukrainer im Reichs- oder Landesrat entsprach folglich nicht ihrem Bevölkerungsanteil. Im April 1908 erschoss ein ukrainischer Student den galizischen Statthalter und begründete dies mit den Wahlverstößen und dem allgemein an den Ukrainern begangenen Unrecht. Wien sah sich nun gezwungen den „galizischen Verhältnissen“ größere Aufmerksamkeit zu schenken.

Im sogenannten Ausgleich vom Januar 1914 wurden schließlich einige zentrale ukrainische Forderungen festgeschrieben: ein erweitertes Wahlrecht, die Errichtung einer ukrainischen Universität und anderes mehr; doch wegen des Ersten Weltkriegs wurde dieses Abkommen nicht mehr umgesetzt.

Weitere Informationen zur Geschichte der Ukraine bei den Podcasts Historia Universalis und PolL (Podcast für lebenslanges Lernen) und der Online-Ringvorlesung der Osteuropahistorikern Franziska Davies.
Zur Person: Elias Harth ist studierter Historiker mit dem Schwerpunkt Globalgeschichte, Osteuropa, Naher und Mittlerer Osten und promoviert über die Geschichte der Tataren. Als Podcaster präsentiert er geschichtliche und gesellschaftliche Themen aus der ganzen Welt.

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