Der Rechner der Zukunft Ein Supercomputer aus dem Saarland
Saarbrücken · Saarbrücker Physiker entwickeln in einem Flaggschiffprojekt der Europäischen Union den Rechner der Zukunft.
Aus Sicht eines Computers ist das menschliche Gehirn ein schrecklich langsamer Schaltkreis. Während Computerchips heute mit Taktfrequenzen von mehreren Gigahertz – das sind Milliarden Impulse pro Sekunde – betrieben werden, ist der Rhythmus des Denkens millionenfach langsamer. Aus Sicht des Gehirns dagegen ist ein Computer ein schrecklich ineffizienter Schaltkreis. Programme mit Künstlicher Intelligenz (KI) sind wirklich leistungsfähig nur in ihren Spezialgebieten. Selbst die besten Rechner sind nicht in der Lage, die Leistung des Gehirns zu simulieren, denn unser Gehirn arbeitet ganzheitlich, es kann viele Aufgaben parallel bewältigen.
Diesen Vorsprung des Menschen wird die Technik mit den heutigen Mitteln niemals aufholen können. Denn die Leistungsfähigkeit konventioneller Mikrochips lässt sich nicht beliebig steigern – die Miniaturisierung elektrischer Leiterbahnen wird bald die Grenze des physikalisch Möglichen erreichen. Um die Leistung von IT-Systemen weiter zu erhöhen, muss ein neuer Computertyp her: der Quantenrechner. Physiker der Saar-Universität sind bei dessen Entwicklung ganz vorne dabei. Professor Frank Wilhelm-Mauch koordiniert in Saarbrücken Arbeiten zum Bau eines Computermodells der nächsten Generation. Er heißt „OpenSuperQ“.
Ein Computer zerlegt jede Information, die er verarbeitet, in Bits. Ein Bit in den Speicherregistern eines klassischen Rechners kann dabei den Wert 0 oder 1 annehmen. Alles, was ein Computerprogramm tut, sind simple, logische Verknüpfungen dieser Bits. Die Computer der nächsten Generation setzen künftig auf Effekte der Quantenphysik, die zwar kompliziert zu erklären, aber in ihren Auswirkungen einfach zu verstehen sind, erklärt der Professor der Saar-Uni. Speicherzellen gibt es auch im Quantencomputer, doch ein Quantenbit (Qubit) kann nicht nur den Zustand 0 oder 1 annehmen, sondern beide Werte zugleich, alle dazwischen und das sogar gleichzeitig. Das ermögliche es, große Datenmengen simultan zu verarbeiten – „das ist ein Riesenvorteil“, erklärt der Professor für Quanten- und Festkörpertheorie. Was das bedeutet, erklärt er am Beispiel einer Rückwärtssuche im Telefonbuch. „Das Saarbrücker Telefonverzeichnis hat etwa 100 000 Einträge. Wenn ich zu einer Rufnummer den Namen finden will, brauche ich mit einem klassischen Rechner statistisch etwa 50 000 Vergleiche. Ein Quantencomputer findet den Namen nach etwa 300 Versuchen.“
Der Quantencomputer, den die zehnköpfige Arbeitsgruppe mit zehn Partnern aus Wissenschaft und Industrie entwickelt, ist Teil eines sogenannten EU-Flaggschiffprojekts. Die EU finanziert die Entwicklung mit zehn Millionen Euro, eine Million fließt direkt an die Saar-Uni. Deren Präsident Manfred Schmitt freute sich: „Das Forschungsprojekt passt hervorragend in den Informatik- und KI-Schwerpunkt.“
Die Saarbrücker Physiker setzen bei ihrem Projekt auf die Technik der Supraleitung – sie nutzt die Tatsache, dass elektrischer Strom in bestimmten Metallen nahe dem absoluten Nullpunkt ohne Widerstand fließt. Zur Quantensteuerung im OpenSuperQ dienen Mikrowellen.
Die Maschine, die im Forschungszentrum Jülich aufgebaut werden soll, gleicht auf den ersten Blick einem gewaltigen Kühlschrank. „Der Prototyp ist ein knapp vier Meter hoher Zylinder mit einem Durchmesser von etwa 1,5 Meter.“ Quantencomputer sind große Brocken. Der Entwicklungsstand der Technik entspreche heute etwa dem der Raumfahrt am Beginn des Apollo-Programms, sagt Frank Wilhelm-Mauch. Doch das Potenzial der Technologie sei enorm. So sieht das auch die EU, die insgesamt eine Milliarde Euro in vier Großprojekte der Quantenforschung investiert.
Werden Quantencomputer eines Tages den PC ersetzen? „Das kann heute niemand vorhersagen“, antwortet der Saarbrücker Physiker. „Aber wahrscheinlich ist es nicht.“ Er sieht als typische Einsatzbereiche zunächst große Rechenzentren mit Internetanschluss. Die ersten Anwendungen lägen jedenfalls in der Wissenschaft. Der Saarbrücker Quantenchip soll unter anderem in der theoretischen Chemie und in der Medizin und der Pharmazie zur Simulation molekularer Reaktionen, zum Training von KI-Programmen, zur Optimierung von Netzwerken, aber auch zur Vorhersage von Verkehrsstaus eingesetzt werden.
Da die Technik jedoch auch in der Lage ist, bisher als sicher geltende Verschlüsselungsverfahren zu knacken, haben auch Geheimdienste und die großen IT-Konzerne allergrößtes Interesse daran. In den nächsten beiden Jahrzehnten sei allerdings noch wenig zu befürchten, schätzt der Saarbrücker Physiker. Beim Einstieg habe man alle Hände voll zu tun, erst einmal den fehlerfreien Betrieb einer solchen Maschine sicherzustellen. Quantencomputer sind digitale Diven, extrem empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen und deshalb leider auch anfällig für Hardwarefehler. Weil Qubits bei Störungen instabil werden, seien bisher nur Programmlaufzeiten von etwa einer Millisekunde möglich. „Das werden wir aber deutlich verbessern.“ Ein Quantencomputer mit eingebauter Fehlerkorrektur wäre nach heutiger Stand des Wissens „theoretisch möglich, aber viel zu aufwendig und viel zu teuer.“
Der Quantenprozessor von OpenSuperQ tickt mit der gemächlichen Taktfrequenz von 50 Megahertz, also über hundertmal langsamer als ein PC. Doch das gleicht er durch die phänomenalen Möglichkeiten, Daten wie das menschliche Gehirn parallel verarbeiten zu können, mehr als aus. Um Daten parallel verarbeiten zu können, braucht ein klassischer Computer für jeden Datenpfad eigene Hardware, beim Quantencomputer kann das ein einziger Prozessor. „Bereits 20 Quantenbits entsprechen einem Megabyte Speicher eines klassischen Computers“, erklärt Frank Wilhelm-Mauch. Ziel der Forschungsgruppe ist ein Quantenchip mit mindestens 50 Qubits. „Das schaffen wir bis 2021. Und damit wollen wir dann den größten Supercomputer der Welt schlagen.“