Verborgene Schätze Die Kunst auf dem Saarbrücker Uni-Campus

Saarbrücken · Ob dezent oder dominant: Zahlreiche Kunstwerke bereichern die Gebäude der Saar-Universität. Eine kleine Auswahl.

 Die Skulptur „Automedon“ von Oswald Hiery, benannt nach einem sagenhaften Wagenlenker der Antike, ist inzwischen eines der Wahrzeichen der Saar-Uni. Doch was sagt sie über die Figur des Wissenschaftlers aus?

Die Skulptur „Automedon“ von Oswald Hiery, benannt nach einem sagenhaften Wagenlenker der Antike, ist inzwischen eines der Wahrzeichen der Saar-Uni. Doch was sagt sie über die Figur des Wissenschaftlers aus?

Foto: Uni/Jörg Pütz

Kunst am Bau hat unter Puristen nicht den besten Ruf. Statt dass Kunstwerke um ihrer selbst willen entworfen und rezipiert werden, sei ihre Entstehung und Wirkung von ihrer Umgebung abhängig, so der Vorbehalt. Sie erschienen, mit einem Wort, „funktionalistisch“. Doch Funktionalismus muss nicht per se etwas Minderwertiges sein. Das gilt allemal im Fall einer Universität. Denn deren Funktion ist ja – zumindest idealiter – eine zutiefst humane: Bildung. Beste Voraussetzungen also für ein fruchtbares Ineinandergreifen von Form und Funktion, Architektur und Kunst.

Die Entwicklung der Universität des Saarlandes als einer Campus-Uni fällt zusammen mit dem Aufstieg des Kunst-am-Bau-Gedankens und eines funktionalistischen Baustils. 1950 beschloss der Deutsche Bundestag, dass bei öffentlichen Bauvorhaben mindestens ein, später zwei Prozent des Budgets in Kunst fließen muss, in Fassadengestaltung, Wandschmuck, Skulpturen und Ähnliches. 1951 rief das Saarland einen Architekturwettbewerb zur Errichtung eines universitären Ensembles auf dem Gelände der ehemaligen Below-Kaserne im Saarbrücker Stadtwald aus. Im Kontrast zum behäbigen Heimatsstil der Kasernen-Bauten aus den 1930er Jahren wurden die Gebäude des sogenannten Universitätsforums im Internationalen Stil entworfen, der maßgeblich vom Bauhaus geprägt war, das die Nazis bekämpft hatten. Die Architekten stammten aus dem Saarland, Deutschland und Frankreich.

Diesen internationalen Geist verkörpert auch der aus dem Elsass stammende Künstler Boris Kleint, der als Lehrer an der Staatlichen Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken die Nachkriegskunst im Saarland wie kein Zweiter geprägt hat. Seine auf Abstraktion gerichtete Lehre hat an der neugegründete Universität zahlreiche Spuren hinterlassen. Kleint selbst gestaltete das Treppenhaus zum Audimax. An den Eingangstüren zum Hörsaal ließ er in unterschiedlichen Winkeln abgesetzte Aluminiumplatten montieren, die das Öffnen und Schließen der Türen spiegeln. Tausende Studenten durchschreiten diese Installation jede Woche; ob ihnen allen bewusst ist, dass es sich dabei um ein Kunstwerk handelt, darf bezweifelt werden. Diese Zurückhaltung hat durchaus Methode. „Im Mittelpunkt stehen die Studenten. Die Kunstwerken sollten sich nicht in den Vordergrund spielen“, erläutert der Kunsthistoriker Bernhard Wehlen, der an der Saar-Universität auch Führungen veranstaltet.

Arbeiten von Schülern Kleints und Mitgliedern der von ihm begründeten Künstlergruppe „Neue Gruppe Saar“ – Leo Erb, Horst Linn, Wolfram Huschens und Sigurd Rompza – finden sich an unterschiedlichen Orten auf dem Campus. Im Gebäude der Elektrotechnik etwa stehen und hängen mehrere Arbeiten von Rompza und Erb, deren minimalistische Formensprache mit dem wissenschaftlichen Thema des Ortes korrespondiert, wie der Kunsthistoriker Christoph Wagner, inzwischen Vizepräsident der Universität Regensburg, herausgearbeitet hat. Die Außenfassade des Historischen Institutes ist geprägt von einem Kachelmosaik von Wolfgang Huschens, der im Innern ein Wandgemälde mit dem abstrahierten Motiv einer Studiensituation gestaltet hat. Den Hörsaal der Biologen hat derselbe Künstler mit einer Wandverkleidung aus dem organischen Material Holz ausgestattet.

So subtil einige dieser Werke sich in die Umgebung einfügen, so dominant wirkt hingegen ein Kunstwerk, das bei seiner Errichtung vor 25 Jahren heftige Kontroversen auslöste: Richard Serras „Torque“-Plastik. Auch die sechs knapp 17 Meter hohen und 200 Tonnen schweren aneinander gelehnten Stahlplatten stehen in einem Funktionszusammenhang. Sie bilden ein „Drehmoment“ (so die deutsche Übersetzung des Namens), um das herum sich der Verkehr der Uni-Busse bewegt. Dass die Skulptur von manchen eher als Störfaktor wahrgenommen wird, ist durchaus im Sinne des Künstlers. „Serra begreift seine Kunst als sozialen Raum, an dem sich Ideen brechen sollen“, erklärt Bernhard Wehlen. Insofern fügen sich auch die Graffitis – manche mehr, manche weniger originell – die von Studenten auf die Skulptur gesprayt wurden, ins Gesamtkonzept.

Einen weltweit beachteten Höhepunkt erreicht die Verschränkung von Architektur und Kunst im und um das Mensa-Gebäude. Der Architekt Walter Schrempf und der Bildhauer Otto Herbert Hajek haben hier ein „brutalistisches“ Gesamtkunstwerk entworfen, das den Baustoff Beton und die Primärfarben Gelb, Blau und Rot feiert. Besucher des Museum of Modern Art in New York können ein maßstabgetreues Modell der Mensa bewundern, die Studenten der Saar-Uni können im Original täglich zu Mittag essen.

Die Studenten und Wissenschaftler leben in und mit den Kunstwerken. Rund 65 gibt es auf dem Saarbrücker Campus. Die Bezüge zum Ort ihrer Präsentation sind unterschiedlich. Manche erheitern die Atmosphäre, andere irritieren sie – manche tun beides. Etwa die fünf Meter hohe Automedon-Figur von Oswald Hiery, die zwischen dem  Leibniz-Institut für Neue Materialien und dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz ihre künstlichen Schwingen spannt. Handelt es sich bei dem dargestellten Erfinder um einen Visionär oder einen verblendeten Ikarus? Beide Deutungen scheinen möglich.

Nicht alle Kunstwerke der Saar-Uni haben den Charakter von Wahrzeichen. Sie hängen in Treppenhäusern, stehen in Fluren, baumeln von Decken. „Der Campus ist eine Wundertüte“, sagt Bernhard Wehlen. „Man entdeckt immer wieder etwas Neues, wenn man mit offenen Augen darüber läuft.“

 Die 2,65 Meter hohe bewegliche Stele von Leo Erb im Gebäude der Elektrotechnik kann als künstlerisches Äquivalent zum Phänomen der Wechselspannung gelesen werden.

Die 2,65 Meter hohe bewegliche Stele von Leo Erb im Gebäude der Elektrotechnik kann als künstlerisches Äquivalent zum Phänomen der Wechselspannung gelesen werden.

Foto: Uni/Jörg Pütz
 Die Eingangstür zum Audimax hat der Künstler Boris Kleint mit zahlreichen Aluminiumplatten verkleidet. Einige davon fungieren als Türgriffe.

Die Eingangstür zum Audimax hat der Künstler Boris Kleint mit zahlreichen Aluminiumplatten verkleidet. Einige davon fungieren als Türgriffe.

Foto: Uni/Jörg Pütz
 Den Eingangsbereich und die Fassade des Historischen Institutes schmücken grafische Tonziegel und Kacheln von Wolfgang Huschens.

Den Eingangsbereich und die Fassade des Historischen Institutes schmücken grafische Tonziegel und Kacheln von Wolfgang Huschens.

Foto: Uni/Jörg Pütz
 Außen- und Innenbereich der Mensa sind als ein begehbares Gesamtkunstwerk konzipiert. Das Beton-Gebäude fand weltweite Beachtung.

Außen- und Innenbereich der Mensa sind als ein begehbares Gesamtkunstwerk konzipiert. Das Beton-Gebäude fand weltweite Beachtung.

Foto: Uni/Jörg Pütz

Das Buch „Kunst auf dem Campus“ (hrsg. von Jörg Pütz und Henry Keazor), aus dem die Bilder auf dieser Seite stammen, ist im Gollenstein Verlag erschienen (erhältlich bei Bock & Seip auf dem Saarbrücker Uni-Campus für 25 Euro).

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort