Zwang zur Hilfe Hinter Gittern soll erzogen werden

Saarbrücken · Bereits 2019 könnte im Saarland ein geschlossenes Heim für schwer erziehbare Jugendliche eröffnet werden.

 Jugendliche Insassen eines geschlossenen Heims in Rodalben bei Pirmasens am Fenster.  

Jugendliche Insassen eines geschlossenen Heims in Rodalben bei Pirmasens am Fenster.  

Foto: BECKER&BREDEL/bub

Was tun mit problematischen Jugendlichen? Im Saarland wurden diese in der Vergangenheit in geschlossene Heime anderer Bundesländer geschickt. Nachdem sie es jahrelang ablehnten, ein solches Heim im eigenen Land zu haben, hat sich die Meinung bei den Jugendämtern des Saarlandes nun gedreht. Bereits 2019 soll eine solche Einrichtung auch hier entstehen.

Jeweils sechs Plätze im geschlossenen und offenen Bereich, letzteres um die Jugendlichen auch nach ihrer Zeit in der geschlossenen Einrichtung pädagogisch weiter zu betreuen, sind laut den beiden Trägern, Arbeiterwohlfahrt und Diakonisches Werk, geplant. Nur männliche Jugendliche sollen im Saarland untergebracht werden.

Der Bedarf einer solchen Einrichtung hierzulande sei laut Awo und Diakonie nicht abzustreiten. In 2018 seien bereits acht Jugendliche aus dem Saarland in eine geschlossene Unterbringung in einem anderen Bundesland geschickt worden. Die Zahl der nicht umgesetzten Beschlüsse für eine solche Unterbringung sei um ein vielfaches höher, erklärte Birgit Luhmann, Direktorin des sozialpädagogischen Netzwerks bei der Awo. Der Landesjugendhilfeausschuss habe nun vor einigen Wochen die Leitlinien für eine geschlossene Unterbringung im Saarland beschlossen. Im Ausschuss sitzen Vertreter der Jugendämter, der freien Jugendhilfe, des Sozialministeriums, der Politik und Amtsärzte. „Wir begrüßen die Vorgespräche. Es braucht für eine solche Einrichtung einen breiten fachpolitischen Konsens“, sagt Luhmann.

„Die Zielgruppe sind männliche Jugendliche mit multiplen Problemen“, erklärt sie. Zu den Problemen zählen etwa anhaltender Drogenmissbrauch, gewaltbereites Handeln, Schulschwänzen und die Verweigerungshaltung der Jugendlichen. „Wir wollen mit der Einrichtung den Zugang zu den Jugendlichen sicherstellen“, ergänzt im Gespräch die Geschäftsbereichsleiterin Stationäre Hilfen zur Erziehung bei der Awo, Cornelia Bechthold. Allerdings gehe so etwas nur auf Antrag der Erziehungsberechtigten, zudem ist ein Beschluss eines Jugendrichters notwendig. Ein Anwalt vertritt außerdem die Interessen des Minderjährigen bei der Entscheidung.

Trotz der verschlossenen Türen solle die Einrichtung nicht als Gefängnis für straffällig gewordene Jugendliche verstanden werden. „Es ist eine Jugendhilfeeinrichtung und keine Einrichtung der Justiz“, sagt Bechthold. Anliegen sei es, eine Perspektive zu geben, ein Zuhause auf Zeit zu bieten, die Potenziale der jungen Männer herauszulocken und sie zurück in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Als Betreuungskonzept wird die Methodik des israelischen Psychologen Haim Omer angewandt. Leitgedanke hierbei ist, eine Bindung zu den Jugendlichen aufzubauen und Autorität ohne die Anwendung von Gewalt zu vermitteln. Die Jugendlichen sollen einen verlässlichen Ansprechpartner haben, aber eben auch Grenzen aufgezeigt bekommen.

Gemischte Gruppen soll es keine geben. Schließlich könnten auch Jugendliche, die unter sexuellen Übergriffen gelitten haben, in der Einrichtung leben. Wie lange ein Jugendlicher in einer geschlossenen Unterbringung leben muss, sei jedoch schwer abzuschätzen, erklärt der designierte Leiter und Psychologe Dr. Steffen Barra. „Die Unterbringung kann im freiheitsbegrenzenden Setting individuell von wenigen Wochen bis zu zirka zwei Jahren andauern. Die Notwendigkeit der Maßnahme ist regelmäßig zu überprüfen und der entsprechende richterliche Beschluss zu erneuern. Generell gilt, dass eine derartige Unterbringung so lange wie nötig, aber so kurz wie möglich erfolgen muss.“

Wo die neue Einrichtung im Saarland entstehen soll, ist allerdings noch nicht bekannt. „Wir haben Immobilien im Blick“, so Luhmann. Architekten müssten jetzt die Machbarkeit prüfen. Einen Neubau schließen die künftigen Betreiber aus. In Rheinland-Pfalz hätte ein solcher in Pirmasens bereits mit allen Prüfungen und Genehmigungen zehn Jahre in Anspruch genommen.

Der Zwang zur Erziehung ist dabei nicht billig. Mit etwa 460 Euro pro Person und Tag rechnen die Betreiber. Die Rechnung geht allerdings nicht an die Erziehungsberechtigten, sondern an das jeweilige Jugendamt. 85 Prozent der Kosten seien Personalkosten. Jeweils zwei Fachkräfte sollen im Schichtbetrieb rund um die Uhr im Dienst sein. Mit neun Fachkräften plus dem Bereitschaftsdienst am Wochenende rechnen die Betreiber. Intern sei man bei der Arbeiterwohlfahrt und der Diakonie bereits bei der Mitarbeiterakquise, die externe Suche sei in Vorbereitung.

Deutschlandweit gibt es derzeit 301 Plätze in 26 geschlossenen Einrichtungen.154 sind für Jungen vorgehalten, 90 für Mädchen, 57 sind in gemischten Einrichtungen. Bayern führt die Liste mit 124 Plätzen an, Nordrhein-Westfalen folgt mit 70 Plätzen.

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