Hilferuf nach Orientierung

Saarbrücken · Zwar leiden die meisten Anrufer bei der Telefonseelsorge Saar nach wie vor unter Beziehungsproblemen. Doch Klagen über eine fehlende Orientierung im Leben und finanzielle Sorgen nehmen offenbar deutlich zu.

Paar- und Familienprobleme, Einsamkeit oder Trennung: Fast 60 Prozent der Anrufer haben sich aus diesen Gründen im vergangenen Jahr an die Telefonseelsorge Saar gewandt. Damit sind Beziehungsprobleme nach wie vor die häufigsten Anlässe für einen Anruf. Auch ist die Zahl der 11 080 geführten Gespräche im zurückliegenden Jahr gegenüber den Vorjahren in etwa konstant geblieben. Was sich allerdings verändert hat: Die Anrufer sind zunehmend älter, suchen häufiger Sinn und Orientierung im Leben und klagen vermehrt über finanzielle Sorgen. Auch stieg die Zahl der Anrufer mit psychischen Erkrankungen, sie machen inzwischen etwas mehr als die Hälfte aus. Das gaben Mitarbeiter der katholisch-evangelischen Telefonseelsorge Saar gestern bei einer Bilanzpressekonferenz in Saarbrücken bekannt.

Dass Menschen heute häufiger die Frage nach Sinn oder Orientierung in ihrem Leben stellen, erklärt Pfarrer Volker Bier mit der zunehmenden Kluft zwischen idealisierten Lebenswelten (wie sie etwa in Medien oder Werbung dargestellt würden) und der eigenen Realität. "Wir verfügen heute über so viele Freiheiten, dass uns das oft geradezu erschlägt", fügt Diplom-Psychologin Heidrun Mohren-Dörrenbächer hinzu. Entsprechend würden sich etwa Berufsanfänger mit Zweifeln an der richtigen Berufswahl melden. Dass mittlerweile rund jeder zweite Anrufer unter einer psychischen Erkrankung leidet, führen die beiden Mitarbeiter der Telefonseelsorge Saar auf eine "klare Unterversorgung an Therapieplätzen" zurück.

Die Telefongespräche der 80 ehrenamtlichen Mitarbeiter der Telefonseelsorge Saar dauern durchschnittlich 17 Minuten, etwa drei Viertel der Anrufer sind Frauen, jeder zweite Anrufer ist mutmaßlich über 50 Jahre alt. Unter der Telefonnummer (08 00) 1 11 01 11 ist 365 Tage im Jahr rund um die Uhr Hilfe zu erhalten. Unter der gleichen Nummer kann sich auch melden, wer Interesse an einer Mitarbeit bei der Telefonseelsorge hat. Die ehrenamtlichen Helfer erhalten bei Eignung eine umfassende Ausbildung.

Außer der Seelsorge am Telefon wird in Saarbrücken auch eine persönliche Beratung von einem sechsköpfigen, hauptamtlichen Team angeboten. Davon haben im vergangenen Jahr 211 Personen Gebrauch gemacht. In den 1041 Beratungsstunden waren ebenso wie am Telefon Beziehungsprobleme am häufigsten Thema.

In der Beratung per E-Mail oder Chat (www.telefonseelsorge-saar.de) sei auffällig, dass Selbstmord-Absichten deutlich öfter zur Sprache kämen als am Telefon oder in Beratungsgesprächen, so die Psychologin Mohren-Dörrenbächer. Der Grund dafür sei vermutlich die größere Anonymität. Gut jede zehnte Mailanfrage und fast zwei Drittel der Chatkontakte setzten sich mit dem Thema Suizid auseinander. Es gebe aber auch Anrufer, bei denen akute Suizidgefahr bestehe oder befürchtet werden müsse. Als Telefonseelsorger "müssen sie viel Ohnmacht aushalten und dem Teil im Anrufer eine Stimme verleihen, der leben will", so die Psychologin.

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