Wie SZ-Leserinnen und -Leser helfen können „Vor allem älteren Menschen schämen sich, nach Hilfe zu fragen“
Saarbrücken · Welche Saarländer brauchen welche Hilfe der Leserinnen und Leser der Saarbrücker Zeitung in Zeiten der Inflation am dringlichsten? Das wollte der Vorstand des Vereins Hilf-Mit! der Saarbrücker Zeitung von den Wohlfahrtsverbänden wissen.

Vom linken Tischende im Uhrzeigersinn: Hilf-Mit!-Vorstandsmitglied Mathias Winters, Michael Schley und Jutta Anton-Wachall (beide vom Caritasverband für Saarbrücken und Umgebung). Hilf-Mit!-Vorsitzender Christian Erhorn, Cornelia Armborst-Winterhagen von der Paritätischen Gesellschaft für Gemeinwesenarbeit, Tanja Berberich von der Stiftung Hospital St. Wendel, Hilf-Mit!-Vorsitzender Klaus Schönwälder, SZ-Reporter Michael Kipp, Markus Schneider vom Caritasverband Saar-Hochwald, Anne Fennel aus der Geschäftsführung der Diakonie Saar und Eva Scherer von Hilf-Mit!.
Foto: Iris Maria Maurer„Saarländer helfen Saarländern“ lautet das Motto – auch im Jubiläumsjahr. Seit 1973 setzt sich die Aktion Hilf-Mit! der Saarbrücker Zeitung im Namen des Medienhauses für unverschuldet in Not geratene Mitmenschen aus dem Saarland ein. Seit 50 Jahren stellt der Verein sicher, dass die Spenden der Saarländer eins zu eins bei den Notleidenden ankommen – ohne Verluste „Wir stemmen alle Verwaltungsarbeit in einem kleinen Team aus dem Hause der Saarbrücker Zeitung ehrenamtlich“, versichert der Vereinsvorsitzende Christian Erhorn, der kaufmännischer Geschäftsführer der Saarbrücker Zeitung ist.
Start im Jahr 1973
Angefangen hat alles 1973 als Weihnachtsaktion. Die kommt damals so gut an, dass sie sich zu einer Ganzjahresaktion entwickelt. 1995 wandelt das Medienhaus die Aktion in einen eingetragenen Verein um. Seither ist der gemeinnützige Verein „Hilf-Mit Saarbrücker Zeitung e.V.“ Träger der Aktion, die mehrere Millionen Euro an Spenden gesammelt und sie an hilfsbedürftige Saarländerinnen und Saarländern weitergegeben hat. Allein im vergangenen Jahr kann der Verein mit über 160 000 Euro helfen.
Hilfe für Familien und Einzelpersonen
Das Spendengeld fließt zum Beispiel an Familien. Dieses Jahr auch an die achtköpfige Familie Stepien aus Rehlingen, die bei einem Brand Hab und Gut verloren hat. „Mit diesem Geld kann die Familie nun einen Neustart wagen“, erklärt Erhorn. Dabei verteilt die Aktion (bisher) weniger Bargeld an Einzelpersonen - eher Gutscheine: für eine Waschmaschine, für Kleidung, für Möbel, für wichtige Anschaffungen. Erhorn, führt weiter aus, dass der Verein aber nicht nur einzelne Menschen oder Familien unterstütze - auch Organisationen, Wohlfahrtsverbände.
Viele Verbände profitieren
So helfe der Verein zum Beispiel dem Sankt Jakobus Hospiz und Kinderhospiz- und Palliativteam Saar, dem Kinderschutzbund Saar, der Wärmestube Saarbrücken, den Tafeln, und einzelnen Projekten der Wohlfahrtsverbände. Teils mit festen Beträgen im Jahr, sodass sie besser planen können, teils auf Antrag. „Generell geht die Hilfe soweit als möglich in jede Ecke und Fläche des Saarlands, wir wollen nicht nur den Regionalverband und die direkte Umgebung fördern. Wir stehen allen Saarländern im gesamten Saarland zur Verfügung“, sagt Erhorn. Doch wer bekommt was? Mit seinem Vorstandsteam bestehend aus den SZ-Redakteuren Matthias Winters (2. Vorsitzender) und Volker Fuchs (Geschäftsführer), Schatzmeister Klaus Schönwälder und Sekretärin Eva Scherer, diskutiert und entscheidet Erhorn die Hilfsanträge. Das sei nicht immer einfach, vor allem die Ablehnungen.
Neue Ideen, um zu helfen?
Um noch genauer zu erfahren, wo im Saarland welche Menschen, welche Hilfe am ehesten gebrauchen können, hatte der Verein jetzt Vertreter der Wohlfahrtsverbände zu einem Gedankenaustausch ins Pressehaus der Saarbrücker Zeitung eingeladen. Welche Ideen haben sie? Wo sehen Sie akute Probleme? Wie kann Hilf-Mit! punktgenauer und dennoch in der Breite helfen?
Der Caritasverband Saarbrücken nahm die Einladung mit zwei Vertretern an: Direktor Michael Schley und Jutta Anton-Wachall, Abteilungsleiterin bei den familienunterstützenden Diensten kamen; für den Caritasverband Saar-Hochwald war Verwaltungsleiter Markus Schneider dabei, für die Paritätische Gesellschaft für Gemeinwesenarbeit erklärte Cornelia Armborst-Winterhagen die Nöte und Wünsche der Sozialberatung in Alt-Saarbrücken. Anne Fennel brachte ihre Erfahrungen aus der Geschäftsführung des Diakonischen Werkes an der Saar in die Runde ein, Tanja Berberich sprach als Verwaltungsleiterin der Stiftung Hospital St. Wendel gGmbH. Zwei Stunden tauschte sich die Runde aus.
Inflation beschleunigt die Armut
Dabei erklären zu Beginn alle eines: Die Inflation ist ein Katalysator der Armut; das neue Bürgergeld kann sie nicht kompensieren. Viele ihrer Klienten „können die laufenden Lebenshaltungskosten nicht mehr leisten“, berichtet Markus Schneider nicht nur für die Landkreise Saarlouis und Merzig. „Die Menschen sind nicht mehr in der Lage, sich Essen zu kaufen – oder andere Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Das ist teils erschütternd zu erleben, wenn die Menschen in Armut abrutschen. Viele, die vorher gerade so an der Grenze waren, kippen“, sagt er. Tanja Berbreich bestätigt dies und berichtet davon, wie sich die Inflation auf die Jugend auswirkt: „Die Gleichbehandlung bleibt auf der Strecke“, sagt sie. „Unsere Jugendlichen können an vielem nicht mehr teilhaben, weil das normale Leben das Geld auffrisst.“ Zusätzlich zur existenzgefährdenden Situation „kommt auch noch Entwürdigung hinzu“, fügt Armborst-Winterhagen an. „Wenn man vorher noch gerade so über die Runden gekommen ist, ist man nun darauf angewiesen, zur Tafel zu gehen. Die Leute empfinden sich nicht mehr als selbstwirksam. Die Psyche der Menschen leidet.“
Der untere Mittelstand verarmt
Das sieht auch die Caritas in Saarbrücken so. Direktor Schley sagt, dass „auch im unteren Mittelstand sich die Menschen nichts mehr Besonderes leisten könne – mal ins Kino gehen, Essen gehen.“ Sein Verband helfe in argen Notfällen auch „mal mit 50 Euro, wir helfen aber auch, an staatliche Leistungen überhaupt ranzukommen. Die Anträge sind teils schon eine sehr große Herausforderung.“ Die Menschen, „mit denen wir arbeiten, haben keine Ressourcen mehr“, sagt auch Anton-Wachall. „Sie haben kein Auto mehr vor der Tür, das sie verkaufen können, keinen Schmuck, der noch was wert ist. Selbst die Wäscheschränke sind leer. Da ist da eh schon wenig da – und wenn dann noch eine Inflation dazu kommt ...“
Geldspenden helfen direkt
Oft seien es die kleinen, schnellen Geldzuwendungen – ohne große Anträge stellen zu müssen, die helfen können, betonen alle am Tisch. Nicht nur Anne Fellen von der Diakonie sagt: „Der Prozentsatz, der die Hilfen ausnutzt, ist verschwindend gering.“ Im Gegenteil. Das große Problem sei, dass die Menschen sich schämen – und sich keine Hilfe suchen, obwohl sie sie gebrauchen könnten. „Gerade bei älteren Frauen, die keine angemeldete Tätigkeit ihr Leben lang hatten, die winzige Renten haben, da geht es schon los, wenn mal eine Brille kaputt geht. Die schämen sich aber sehr, Hilfe anzufragen“, berichtet Anton-Wachall.
Bürgergeld reicht nicht aus
Dass das Bürgergeld die Not nicht lindert, ist für Fennel kein Wunder. „Im Regelsatz von 502 Euro sind für den Strom zum Beispiel 40,47 Euro eingerechnet“, führt sie an. Oder: Der Regelsatz sehe „für Ersatzbeschaffungen nur rund 32 Euro vor. Wenn da eine Waschmaschine kaputt geht, können Sie sich mal ausrechnen, wie lange sie sparen müssen. Manchmal länger, als das Gerät hält.“
Auch die Tafeln sind ein Indikator für die Armut. Die Caritas Saar-Hochwald organisiert vier davon. „Die Zahlen haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt“, berichtet Schneider. „An den vier Tafeln sind um die 1500 Familien, die wöchentlich kommen. Wenn man mit zwei, drei Familienangehörigen rechnet, versorgen sie 4000 bis 5000 Menschen.“ Dabei seien sie in jeglicher Hinsicht an ihren Grenzen. Personell - die Ehrenamtler arbeiten sehr hart - und auch die Grenzen der Lebensmittel scheinen erreicht. „Die Geschäfte kalkulieren knapper, können am Ende des Tages nicht mehr so viel zur Verfügung stellen“, berichtet Schneider.
Versteckte Altersarmut
Immer wieder kommt die Runde auf die „versteckte Altersarmut“ zu sprechen. Darauf, dass es vor allem ältere Saarländerinnen und Saarländer sind, die Hilfe nötig hätten, sie aus falschem Stolz, aus Scham, aus Angst nicht suchen - oder annehmen wollen. Zum Beispiel, wenn es um die Pflege geht, um Heimplätze. „Es gibt sehr viel Unwissen und falsches Wissen darüber - gerade in der älteren Bevölkerung“, berichtet Berberich. „Wenn jemand ins Heim müsste, hören wir oft: Ich kann mir das nicht leisten.“ Dabei gebe es viele Möglichkeiten, an Zuschüsse zu kommen. Kinder und Enkel müssten nur noch selten zuzahlen. „Das ist die oft unberechtigte Angst der älteren Menschen“, sagt sie.
Die Angst vor dem Verlust des Eigenheims
Eine weitere: Das Haus ist weg, wenn ich mich pflegen lassen muss. „Gerade im Saarland gibt es einen großen Hausbesitzbestand und die Angst, dieses zu verlieren, wenn ich mich auch nur wegen einer Kleinigkeit ans Sozialamt wende, ist riesig“, bestätigt Markus Schneider. Auch er berichtet von der Scham der Menschen. „Das geht soweit, das habe ich selbst erlebt, dass die Leute mich bitten, mit einem neutralen Auto zu kommen. Und nicht mit einem von der Caritas.“
Auch bei den Sozialstationen gäbe es einen Rückgang der Pflegeleistungen zu beobachten, berichtet Schneider. „Die Leute sparen an dieser wichtigen Stelle, versuchen mit dem Pflegegeld, die Pflege selbst in die Hand zu nehmen, das ist in Teilen natürlich bedenklich.“ Genau darin zeige sich die Struktur der versteckten Altersarmut deutlich: „Die Menschen gehen nicht irgendwohin und nehmen sich was, sie verzichten auf was, um über die Runden zu kommen. Das erleben wir sehr verstärkt.“ Eine Vielzahl von Dingen führt somit dazu, dass bei Hilf-Mit! der SZ nur wenige Anträge von älteren Saarländerinnen und Saarländer landen.
„Kleine Summen helfen oft direkt“
„Es ist schwer, die Altersarmut zu mildern, wenn Spendenanträge ausgefüllt werden müssen“, sagt auch Armborst-Winterhagen. „Die Generation 65 plus hat Spenden nötig, die Menschen nehmen sie aber nicht an. Daher müssen wir da so niederschwellig wie möglich ran. Auch mal mit niedrigen Bargeldbeträgen. Wenn das Geld zum Beispiel nicht mehr für die Augentropfen reicht, reichen da mal sechs Euro, um ein Problem zu lösen“, sagt Armborst-Winterhagen. „Kleine Summen helfen oft direkt“, sagt sie. Mit Geld aus einer Kasse, und dem exakten Nachweis, wer bekommt was, für was, warum. „Damit erreichen wir vor allem alte Damen, die gerade mal Grundsicherung haben“, erklärt sie.
Und stößt beim Vorstand von Hilf-Mit! auf offene Ohren. Der war nach diesem Austausch sehr dankbar, dass die Vertreter der Verbände neue, direkte Wege vor allem zu älteren Hilfsbedürftigen aufgezeigt haben „Das Treffen war sehr erfolgreich, wir haben sehr viel gelernt – und werden uns nun im Vorstand abstimmen, ob wir auch Kleinstbeträge unbürokratisch spenden werden“, sagte Mathias Winters. Und auch Christian Erhorn bedankte sich sehr und versprach, den Austausch mit den Verbänden weiter zu intensivieren.