Start-up Der neue saarländische Apfelwein

Saarbrücken · Ein saarländisches Start-up-Unternehmen belebt mit „Pica Pica“ die Viez-Tradition und rettet Streuobstwiesen.

 Philipp Stute, Michael Müller und Jana Götz auf der Cider-World-Apfelweinmesse in Frankfurt.

Philipp Stute, Michael Müller und Jana Götz auf der Cider-World-Apfelweinmesse in Frankfurt.

Foto: Philipp Linossi

Ebbelwoi, Viez, Cidre? Cider. Das Getränk vom Apfelbaum hat viele Namen. Die elegante englische Variante haben nun zwei Jungunternehmer aus Saarbrücken zusammen mit einer Designerin aus Stuttgart für ein Produkt gewählt, das sich nicht nur vor der saarländischen Vieztradition verbeugt und ihr einen frischen Anstrich verpasst, sondern ganz nebenbei auch noch für den Erhalt der Streuobstwiesen im Saarland sorgt. Der „Pica Pica Cider“ ist aber mehr als eine Wohltat für die Umwelt; der ausschließlich aus natürlichen Zutaten hergestellte Apfelschaumwein überzeugt auch im Geschmack. Nicht schlecht dafür, dass die ganze Sache am Anfang nur eine fixe Idee in einem Wohnwagen war.

Philipp Stute hat schon immer gerne gewerkelt. Stute ist drauf und dran, dieses Hobby auch zum Beruf zu machen. Nein, (noch) nicht als Cider-Fabrikant, sondern als Architekt – er macht gerade seinen Master in Stuttgart. Bevor er sein Studium angefangen hat, hat der 28-jährige Saarbrücker 2015 aber erst einmal eine Weltreise gemacht, zusammen mit seiner Freundin. Und diese Reise hat ihn auch nach Australien geführt, genauer: in den besagten Wohnwagen.

In der Hitze der australischen Sonne haben sich Stute und seine Freundin immer mehr vom heimischen Gerstensaft abgewandt und sich stattdessen lieber mit – man ahnt es – Cider erfrischt, auch weil dieser in Down Under öfter verfügbar war. Nach einem Trip nach Tasmanien sitzt Philipp Stute dann wieder in seinem Wohnwagen und denkt über den kleinen Familienbetrieb nach, bei dem er gerade richtig guten Cider getrunken hat. Dann ruft er Michael Müller an. Den 32-jährigen Wirtschaftsingenieur hat Stute in Saarbrücken kennengelernt. „Das können wir auch“, überzeugt er seinen Kumpel. Noch im Wohnwagen erkundigt sich der findige Saarländer nach Apfelbauern im Saarland und findet Wolfgang Schmitt, einen Obstbauern aus Merzig, der für seine Kelterkünste bereits mit dem „Pomme d’Or“ – dem Oscar des Apfelwein – ausgezeichnet wurde. Eine gute Adresse also.

„Können Sie uns das produzieren?“, fragen Müller und Stute. Der nette Merziger, der sich zwar mit dem Apfelkeltern bestens auskennt, aber noch nie sprudeligen Cider gemacht hat, nimmt die Herausforderung, vor die ihn die engagierten Nachwuchstalente stellen, an – und wird darüber, wie Müller sich ausdrückt, zur „guten Seele des Betriebs, der die handwerkliche Erfahrung mitbringt“.  Etwa ein halbes Jahr lang wird zusammen mit dem Obstbauern „getüftelt“, bis der Cider passt. Wolfgang rät den beiden Jungs, welche Äpfel sie ernten sollen – und nach mehrmaligem Abschmecken ist bald das richtige Verhältnis gefunden, in dem vergessene alte Sorten wie „Schöner von Boskoop“, „Gewürzluiken“ und „Roter Bellefleur“ den leckeren Cider ergeben. Anfang 2017 folgt dann die erste Abfüllung.

Mitte 2017 kommt „Apfeldieb“ auf den Markt. Und es läuft gut, der Cider wird in Feinkostläden und ausgewählten Bars in Saarbrücken angeboten. Aber nur ein halbes Jahr lang. Die Erfolgsgeschichte erfährt ihr jähes Ende, als im Dezember ein Brief einer Dame ins Haus flattert, in dem die beiden Start-up-Gründer dazu aufgefordert werden, den Vertrieb ihrer Neuschöpfung umgehend einzustellen. Die Dame vertritt einen großen Bierhersteller. Und der weist auf die „assoziative Verwechslungsgefahr“ mit seinem erst für Anfang März 2018 geplanten Cider „Apfelräuber“ hin. Einen Rechtsstreit gegen einen so ungleichen Gegner brauchten die beiden gar nicht erst anfangen, denken sie.

Doch so einfach lassen sich Müller und Stute auch nicht unterkriegen. Der Cider, um den es hier geht, heißt ja auch nicht (mehr) „Apfeldieb“, sondern „Pica Pica“, der lateinische Name für die (diebische) Elster. Ein Name, der die beiden nicht in Patentkriege verwickelt und dabei noch ausgefallen klingt. Außerdem zierte die „Apfeldieb“-Flasche zuvor auch schon ein Exemplar des Vogels, die Idee hat also überlebt. Mehr noch: Die Blutgrätsche des Großkonzerns hat die Truppe erst richtig auf Kurs gebracht. Weil beide nur nebenberuflich im Cider-Geschäft tätig sein können, müssen sie ihr Team vergrößern. Und so kommt es, dass die Kommunikationsdesignerin Jana Götz, die Stute bei seinem Bachelorstudium in Konstanz kennengelernt hat und die schon seine Gestaltungsideen zum „Apfeldieb“-Cider ausgearbeitet hatte, zum festen Bestandteil von „Pica Pica“ wird.

Den saarländischen Cider mit der außergewöhnlichen Entstehungsgeschichte gibt es mittlerweile in Feinkostläden wie Saar-Lor-Deluxe, bei Rewe und Edeka, im Café am Schloss und bei Herzenslust zu kaufen. Die Flasche, in der der Saft von drei bis vier Äpfeln steckt, kostet zwei bis drei Euro. Die Streuobstwiesen, von denen die Äpfel kommen, sind per Definition frei von Pestiziden und jeglichen Düngemitteln. Bio steht zwar nicht drauf, ist aber drin. Mehr als Bio, denn wie Stute betont, kommen viele Bio-Äpfel von kurzstämmigen Plantagenbäumen, Monokulturen junger Sorten, die dann industriell verarbeitet werden.

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