Die gotische Revolution

Straßburg · Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte ständiger Neuerungen. Das gilt auch für die Baustile. Eine Ausstellung in Straßburg beschäftigt sich nun mit dem Übergang von der Romanik zur Gotik. Denn dort begann der aus Frankreich kommende neue Stil seinen Siegeszug in unserem Kulturraum.

 Das Hauptportal der Westfassade des Straßburger Münsters ist ein Spitzenwerk gotischer Steinmetzkunst in Europa. Fotos: Storck

Das Hauptportal der Westfassade des Straßburger Münsters ist ein Spitzenwerk gotischer Steinmetzkunst in Europa. Fotos: Storck

 Das Frauenwerkmuseum hütet zahlreiche Original-Skulpturen.

Das Frauenwerkmuseum hütet zahlreiche Original-Skulpturen.

Straßburg ist im ausgehenden 12. und frühen 13. Jahrhundert eine blühende Handelsstadt. Die Stadt am Oberrhein wächst kräftig und ist ein regionales Zentrum geworden, in dem mit der Bildung eines bürgerlichen Ratsgremiums ein Gegengewicht zur Macht des bischöflichen Stuhls entstanden war. Es ist Geld in der Stadt, mit dem Handel werden auch neue künstlerische Ideen transportiert.

Das kann man sehr gut am Straßburger Münster studieren. Zu jener Zeit entstand das Südquerhaus, das den Übergang von der Romanik zur Gotik und damit für Mitteleuropa und insbesondere den damaligen deutschen Sprachraum einen grundlegenden Stilwandel symbolisiert. Diesem Thema ist die Ausstellung "Straßburg 1200-1230, von der Romanik zur Gotik" gewidmet, die derzeit im Musée de l'{OElig}uvre Notre-Dame zu besichtigen ist. Sie beschließt das Jubiläumsjahr zur Grundsteinlegung für diese bedeutende Kathedrale vor genau 1000 Jahren.

Wenn sich der bekanntlich eine Zeit lang in Straßburg studierende Johann Wolfgang von Goethe beim Anblick der Münster-Fassade von "deutscher Baukunst" überwältigt zeigte, lag er allerdings falsch. Und das betraf nicht nur ihn allein: Auch im Renaissance-Italien wurde die Gotik, mit abwertendem Unterton, "maniera tedesca" genannt. Der neue Stil verbreitete sich indes von Nordfrankreich aus, genauer der Ile-de-France, die heute mit dem Ballungsraum Paris weitgehend identisch ist. Baumeister und Steinmetze aus Chartres oder Reims kamen auch an den Oberrhein und brachten das Wissen um neue Techniken oder die Wirkung des Lichts mit. An die Stelle der meist gedrungenen romanischen Bauten traten die gotischen Hallenkirchen.

Richtig ist jedoch, dass Straßburg für den germanischen Kulturbereich die "gotische Revolution" einläutete. Vor allem: Hier wurden nicht einfach französische Vorlagen kopiert. Die Bauplastik des Südquerhauses darf nicht als provinzielle Variante der französischen Baukunst gesehen werden, sondern gilt zu Recht als ein Höhepunkt der europäischen Kunstgeschichte.

Das Frauenwerkmuseum ist etwas verwinkelt, hier auf der Südseite des Münsterplatzes hatten die Münsterbauhütte und die Steinmetzbruderschaft ihre Domizile. Dennoch geht dem Besucher die Übersicht nicht verloren. Die Ausstellung beginnt mit einem Modell der romanischen Vorgängerkirche. Dann geht es vorbei an Kapitellen, Steinplastiken, dem Engelspfeiler, den berühmten Skulpturen der Ecclesia und Synagoga, auch Handschriften sind zu sehen (eine im Elsass vor 1200 in hoher Blüte stehende Kunst). Leider fehlen mehrsprachige Beschriftungen. Zum Münster selbst sind es nur wenige Schritte über den Platz. Das kann man sich ja nun wirklich immer wieder ansehen.

"Straßburg 1200-1230. Die gotische Revolution". Musée de l'{OElig}uvre Notre-Dame, place du château, bis 14. Februar 2016. Öffnungszeiten: Täglich außer Montag 10 bis 18 Uhr.

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