Das Fenster in der Kloake

Saarbrücken/Siersburg · Es ist einer der spektakulärsten Grabungsfunde der vergangenen Jahre und einer der kompliziertesten Restaurierungsfälle: ein mittelalterliches Bleiglasfenster der Burg Siersberg aus dem späten 13. Jahrhundert. Eine kleine Ausstellung in der Saarbrücker Schlosskirche will auf die spannende Geschichte aufmerksam machen.

 Die Siersburg im gleichnamigen Ort war im Mittelalter schwer umkämpft. Foto: Rolf Ruppenthal

Die Siersburg im gleichnamigen Ort war im Mittelalter schwer umkämpft. Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal

Archäologie hat immer etwas von einem Krimi. Wie Kriminalisten rekonstruieren Grabungsexperten aus einem Puzzle lückenhafter "Indizien" Handlungs-Zusammenhänge und entwerfen Szenarien. Allerdings müssen Archäologen ihre Fundstücke oft erst einmal durch Restaurierung in einen "lesbaren" Zustand bringen, damit sich das enthüllt, was wir wirklich wissen wollen: die historische Geschichte, die sich mit den Resten verbinden lässt.

Beim mittelalterlichen Bleiglasfenster-Fund aus dem Jahr 2009 - es war zur damaligen Zeit der erste dieser Art in Deutschland - kommt bei der Rekonstruktion der Story sogar Gewalt mit ins Spiel. Denn das Fenster wurde offensichtlich mutwillig zerstört, das Blei-Gerüst mit brachialer Gewalt zusammengeballt - als Häufchen verbogener Metallstäbe liegt es in einer Vitrine in der Saarbrücker Schlosskirche. Und erzählt von deutsch-französischen Konflikten des 13. und 14. Jahrhunderts.

Die Trierer Erzbischöfe wollten seit 1172 ihre Lehnshoheit über die von lothringischen Herzögen beherrschte Region durchsetzen, durch die - von der Siersberger Burg überwacht - eine der attraktivsten Handelsstraßen des Mittelalters von der Lombardei nach Flandern führte. 1334 gelang Kurfürst Balduin von Trier dann der Coup - und das Fenster wurde, wenn man so will, eine Art rituelles Opfer und Siegessymbol. Denn es landete höchstwahrscheinlich im Umfeld des Jahres 1334 in der Kloake der Burg. Offensichtlich wollte man die lothringischen Wappentiere - drei Adler, die ebenfalls rekonstruiert werden konnten - nicht mehr sehen.

Neben dem zertrümmerten Bleirahmen legten die saarländischen Archäologen noch ein Essgeschirr aus Ton frei, das ebenfalls im Burg-Abort entsorgt worden war - eine rätselhafte Kombination, die auch in der Ausstellung rätselhaft bleibt. Vom eigentlichen bemalten Glas des Fensters fanden sich nur noch 15 Prozent: dunkel korrodierte, stark verschmutzte Minischerben, die alles Durchscheinende und jede Farbe verloren haben.

Und trotzdem wird in Saarbrücken ein Modell in Originalgröße ausgestellt (etwa 95 Zentimeter hoch, 46 Zentimeter breit), was wiederum ein kleines Rekonstruktionswunder ist. Möglich wurde es durch die experimentelle Röntgentechnik, die das Saarbrücker Fraunhofer-Institut anwandte. Rund ein Jahr dauerte der praktische Restaurierungs-Prozess, der sich in Quadratmillimetern vollzog, ein Jahr Forschungsarbeit war ihm vorausgegangen. Diese aufwändige Aufarbeitung des Siersberg-Fundes ließ sich nur durch ein spezielles Förderprogramm der Kulturstiftung der Länder realisieren.

Für die Ausstellung in der Schlosskirche ist das Museum für Vor- und Frühgeschichte der Stiftung Kulturbesitz zuständig. Wobei der Begriff Ausstellung zu große Erwartungen weckt, denn es handelt sich nur um zwei Vitrinen und eine Schautafel. Sie werden optisch ansprechend, aber leider wenig lesefreundlich in der intimen Atmosphäre der Sakristei gezeigt. Es ist dies eine vielleicht allzu bescheidene Inszenierung für einen so bedeutenden und bisher im Saarland unbeachteten Fund.

 Detail aus dem Bleiglas-Fenster: ein Blatt-Motiv.

Detail aus dem Bleiglas-Fenster: ein Blatt-Motiv.

 Detail aus dem Bleiglas-Fenster: ein Adler. Fotos: Olga Emgrund

Detail aus dem Bleiglas-Fenster: ein Adler. Fotos: Olga Emgrund

Bis 19. Februar 2017; Saarbrücker Schlossplatz 16, Di-So zehn bis 18 Uhr, Mi bis 22 Uhr.

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