Heilmittelerbringer in Existenznöten Physiotherapeuten brechen die Patienten weg
Saarbrücken · Physiotherapeuten und andere Heilmittelerbringer fürchten den Bankrott. Als wichtiger Baustein in der ambulanten medizinischen Versorgung fordern auch sie einen Platz unterm Rettungsschirm – bisher allerdings ohne Erfolg.
Während Ärzte und Pfleger in den Krankenhäusern auf Hochtouren arbeiten, legt die Corona-Pandemie einen wichtigen Teil des Gesundheitssystems lahm: die Physiotherapie- und Ergotherapie-Praxen, aber auch freiberuflich arbeitende Heilpraktiker, Osteopathen, Logopäden und Podologen. Die Mitgliedsverbände des Spitzenverbands der Heilmittelverbände (SHV) schlagen Alarm, dass ohne Schutzschirm einem großen Teil der so genannten „Heilmittel-
erbringer“ das Aus drohe.
Ganz zu schweigen von den gesundheitlichen Nachteilen für viele, auch chronisch kranke Patienten, die nun aus Angst vor Covid-19 Behandlungen absagen, die Praxen meiden. Obwohl es gemäß der Bestimmung der Landesregierung weiterhin erlaubt ist, zur Physiotherapie zu gehen, allerdings nur, wenn dies „medizinisch dringend erforderlich“ sei. Eine ärztliche Verordnung belege die medizinische Notwendigkeit, das schreibt der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten auf seiner Internetseite. „Die Therapeuten müssen das dann abwägen“, so Ute Repschläger, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes selbstständiger Physiotherapeuten IFK e.V. Klar sei aber, dass in vielen Fällen, gerade nach Operationen, eine rehabilitierende Anschlussbehandlung dringend erforderlich sei, um den Erfolg des Eingriffs nicht zu gefährden. Der Patient mit Haltungsschwäche hingegen könne vielleicht warten.
„Die Patienten sind total verunsichert und sagen ihre Termine reihenweise ab“, beklagt sie. Obwohl dies in vielen Fällen eben nicht nötig sei. Denn auch die Physiotherapie-Praxen träfen zusätzliche Hygienemaßnahmen, zudem arbeite man in Bestellpraxen mit festen Terminen. „Wir bekommen allerdings keine Schutzmasken geliefert“, berichtet Repschläger. Die reichen bekanntlich nicht mal für Ärzte und Krankenhäuser.
„Ich habe 70 Prozent Absagen und keine Neukunden“, berichtet die Heilpraktikerin und Osteopathin Britta Scherer, die in Saarbrücken eine Praxis hat. Sie versteht die Angst und sorgt dafür, dass die verbliebenen Patienten sich in ihrer Praxis nicht begegnen und genügend Zeit zur Desinfektion bleibe. Zudem arbeite sie mit Mundschutz, aber „ohne Hände und Anfassen geht Osteopathie nunmal nicht“. Denn die Methode ist eine Art Massage tiefliegender Körperstrukturen, um Funktionsstörungen zu beheben. Zwei Monate könne sie maximal durchhalten, ihre Rücklagen aufbrauchen. „Ich bin Freiberuflerin und muss meine private Rentenversicherung, die Berufsunfähigkeitsversicherung, Miete und anderes bezahlen.“ Britta Scherer hofft daher wie viele in ihrer Branche auf finanzielle Hilfe vom Staat. „Als Heilmittelerbringer sind wir das letzte Glied in der Kette“, klagt sie.
Kay Schwarz ist Chef des Elithera Gesundheitszentrums Saar in Saarbrücken und beschäftigt sieben Therapeuten, für die er jetzt Kurzarbeit beantragt hat. Sein Zentrum, das wie viele andere auch Reha-Kurse und Training an Geräten für Selbstzahler anbietet – beides fällt bis auf Weiteres weg, weil verboten – , ist noch zu 30 Prozent ausgelastet. Das Kurzarbeitergeld will er diesen Monat noch auf 100 Prozent aufstocken. Sollten die Beschränkungen aber sehr viel länger dauern, werde das nicht möglich sein, so Schwarz. Drei Monate könne er womöglich durchhalten. Zumal auch zu ihm keine neuen Patienten kommen und die Ärzte sich bei Verordnungen derzeit zurückhielten. Immerhin nutzt Schwarz seine digital gut aufgestellte Praxis nun, um die Telemedizin auszuprobieren. „Der Gesetzgeber hat es wegen der Krise möglich gemacht, dass wir nun Physiotherapie per Videostreaming anbieten können.“ Kommende Woche soll es los gehen, dann kommt der Therapeut via App ins Haus, zeigt Übungen per Videoübertragung und korrigiert. Für internetaffine Patienten ist das eine interessante Alternative, aber für die Mehrzahl – ältere Menschen, schwer Kranke, Krebs- und Schmerzpatienten?
„Wir fühlen uns allein gelassen von der Politik“, klagt die IFK-Vorsitzende Ute Repschläger. Wenn der Bund diesen Freitag den Rettungsschirm für viele Branchen beschließe, seien die Heilmittelerbringer nicht dabei. „Obwohl wir ein wichtiger Baustein in der Versorgungsstruktur sind“, so Repschläger. Die Soforthilfe des Landes für Kleinunternehmer sei zwar eine erste Hilfe, so sie denn gewährt werde, größere Praxen mit Angestellten kämen damit aber nicht monatelang über die Runden.
Ihr Verband fordert nun Ausgleichszahlungen von den Gesetzlichen Krankenkassen, die durch die Corona-Krise derzeit Honorare für die Heilmittelerbringer sparen. „Das wäre unsere Rettung quasi zum Null-Tarif“, sagt Repschläger. Denn das Geld sei im GKV-Haushaltplan für 2020 bereits veranschlagt, man könnte es auf Basis einer Berechnung der durchschnittlichen Honorare der Praxen auszahlen und diese so vor dem Ruin retten. „Bislang sind wir mit unseren Forderungen in der Politik nicht gehört worden.“ Man werde sich um die Heilmittelerbringer in einem nächsten Schritt im April kümmern, habe man die Verbände vertröstet. „Dann könnte es für viele zu spät sein. Wir wollen unter den Rettungsschirm, wir sind auch systemrelevant.“