Haaresbreite am Kunstwerk vorbei

Mal was Neues ausprobieren. Einen ganz neuen Typ aus sich machen.

Ein Äußeres, wie niemand zuvor an ihr gesehen hat. Oh ja, das war ihr gelungen. Thea hatte all ihren Mut zusammengepackt, war schnurstracks mit neuen Ideen zum stylischen Frisiersalon im Dorf marschiert. Wo ältere Damen mit lila Föhnwelle herauskommen.

Meine beste Freundin trug seit etlichen Jahren einen leidigen Einheitsschnitt. Eine wie mit Lineal gezogene Ponyfrisur. Ordentliche Kante. Kein Härchen stand über. Zu mehr fehlte ihr bisweilen der Mut. Nun sollte alles anders werden. Fesch auftreten wollte sie ab sofort. Raus aus dem optischen Muff. Hatte dafür ein Anschauungsexemplar aus einer Modezeitschrift gerissen, die sie dem Frisör, der lieber Frisörin geworden wäre, unter die Nase hielt. Er machte sich ans Werk. Bezirzte Thea mit Flötentönen, als wollte er sie für ein Rendezvous gewinnen, was sein Naturell konterkarierte. Er klapperte mit der Schere, wirbelte in schwungvollen Bewegungen aus der Hüfte und dem Handgelenk um und durch ihr Haar. Bis das Kunstwerk stand.

Thea überraschte meinen Kumpel Tobi mit dem neuen Look. Stand bei ihm vor der Tür. Er traute seinen Augen kaum: Thea, die um Haaresbreite wie ein eineiiger Zwilling ihrer verhassten Tante Eusebia glich. Das ganze Gesicht großflächig mit allerlei kunterbunten Strähnchen bedeckt, als trüge sie einen hochgezogenen, grobmaschigen Wollschal. Tobi wieherte. Beurteilte sodann auf die ihm ganz charmant eigene Art: "Da wusste jemand, wie man Kundinnen entstellt." Um seine Tirade zweifelnd zu beenden: "Fällt das eigentlich nicht unters Vermummungsverbot?"

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