Grüner Kreis ist nicht krisenfest

Merzig-Wadern. Brötchen kaufen wir beim Bäcker, ohne uns groß Gedanken darüber zu machen, wo die zig Tonnen Weizen reifen. Spargel im Dezember? Kein Problem, er wird aus Chile importiert. Die Tanks der Autos werden gefüllt - auch wenn wir uns über die hohen Spritpreise schwarz ärgern

Merzig-Wadern. Brötchen kaufen wir beim Bäcker, ohne uns groß Gedanken darüber zu machen, wo die zig Tonnen Weizen reifen. Spargel im Dezember? Kein Problem, er wird aus Chile importiert. Die Tanks der Autos werden gefüllt - auch wenn wir uns über die hohen Spritpreise schwarz ärgern. Doch was passiert, wenn die Rohstoffe versiegen? Was, wenn der Klimawandel Ernten zerstört? Sind die Landkreise und kreisfreien Städte gewappnet? Sind sie in der Lage, ihren Bürgern Alternativen anzubieten? Bahn und Bus statt Autos?

Saarlouis noch schlechter

Gibt es genügend Äcker, auf denen Getreide wächst, um die Bevölkerung im Krisenfall ausreichend mit Brot zu versorgen? Diesen und anderen Fragen sind Wissenschaftler des Eduard-Pestel-Institus aus Hannover bei einer bundesweiten Untersuchung nachgegangen. Für den Grünen Kreis kommen sie zu dem Schluss: Er ist nicht krisensicher. Unter 412 untersuchten Kreisen und kreisfreien Städten rangiert Merzig-Wadern auf Rang 301. Schwacher Trost: Der Kreis Saarlouis schneidet noch schlechter ab und liegt auf einem der hintersten Plätze der Tabelle.

Die mittelständische Wirtschaft, die den Landkreis prägt, minimiert das Risiko der Abhängigkeit von wenigen Großkonzernen. Dennoch bewertet das Pestel-Institut die Region nur als bedingt krisensicher - mit einer Zwei. Als Grund nennt Matthias Günther, Mitautor der Studie: "Rein wirtschaftliche Kriterien reichen zur Bewertung der Krisenfestigkeit einer Region nicht." Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene allein garantiert nach seiner Darstellung keine Sicherheit für die Zukunft. "Wir sollten uns nicht mehr auf Wachstum und Konsum fixieren, sondern uns auf bisher vernachlässigte Faktoren konzentrieren." Sie bieten nach seiner Ansicht Schutz vor den Auswirkungen von Krisen - wenn Rohstoffe knapp werden oder der Klimawandel Ernten zerstört und die Ernährung der Bevölkerung bedroht ist. Krisensicher sind zum Beispiel Regionen, die über einen hohen Anteil an landwirtschaftlichen Flächen und eigener Energieversorgung mit Biogas, Wind- und Wasserkraft verfügen. In Sachen Ökolandbau sehen die Hannoveraner den Kreis ganz weit vorne, ebenso wie bei der Windkraft. Auch im Bereich Solarenergie spielt der Grüne Kreis mit solarthermischen Anlagen und Fotovoltaik in der obersten Liga mit.

Insgesamt 18 Kriterien aus den Bereichen Soziales, Wohnen, Verkehr, Flächennutzung, Energie und Wirtschaft hat das Pestel-Institut in seiner Studie untersucht - darunter nur drei klassisch-ökonomische Prüfkriterien. Bei vier von 18 Indikatoren liegt Merzig-Wadern im Spitzenbereich - so auch beim Zuzug neuer Bürger: den Luxemburgern sei Dank. Das Bevölkerungswachstum entsteht nicht nur durch Nachwuchs, sondern durch Zuzug. Ob Perl, Mettlach oder Merzig: Die Kommunen profitieren vom Großherzogtum, dessen Bewohner das höchste Pro-Kopf-Einkommen in Europa mit über die Landesgrenze bringen. Für die Luxemburger wiederum ist es vergleichsweise günstig, im Saarland zu bauen. "Die hohe Zuwanderung in den Landkreis ist ebenfalls eher ein Indiz für eine starke Region", sagt Günther.

Neun Mal vergaben die Wissenschaftler jedoch nur einen Mittelplatz, und fünf Mal erreichte der Kreis nur einen Rang am Ende der Tabelle. Deutlich verbessern müsse der Landkreis die Versorgung der Bevölkerung mit Hausärzten, fordert die Studie. Der Anteil von Mieterhaushalten sei zu gering, die von Wohneigentum zu hoch. "Wohneigentum geht mit hohen Schulden einher", erläutert Günther. "Mit den ökonomischen Auswirkungen von Krisen steigt auch das Armutsrisiko."

Die Hannoveraner sind sich bewusst, dass sie mit ihren Thesen provozieren: "Gerne würden wir mit den Verantwortlichen des Landkreises diskutieren." < Seite C 4

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