Großartig oder schablonenhaft?

Saarbrücken. "So ein Werk gibt es zum ersten Mal auf der Welt", so die Worte des französischen Erziehungsministers Luc Chatel über das deutsch-französische Geschichtsbuch. Er hat gestern anlässlich des deutsch-französischen Tages am kommenden Sonntag zwei bilinguale Schulen in Saargemünd und in Lauterbach besucht

 Luc Chatel, französischer Erziehungsminister, und Ministerpräsi dentin Annegret Kramp-Karrenbauer diskutierten mit Schülern das deutsch-französische Geschichtsbuch. Foto: Becker&Bredel

Luc Chatel, französischer Erziehungsminister, und Ministerpräsi dentin Annegret Kramp-Karrenbauer diskutierten mit Schülern das deutsch-französische Geschichtsbuch. Foto: Becker&Bredel

Saarbrücken. "So ein Werk gibt es zum ersten Mal auf der Welt", so die Worte des französischen Erziehungsministers Luc Chatel über das deutsch-französische Geschichtsbuch. Er hat gestern anlässlich des deutsch-französischen Tages am kommenden Sonntag zwei bilinguale Schulen in Saargemünd und in Lauterbach besucht. Dass zwei Länder eine gemeinsame Version der Geschichte teilen, sei symbolisch extrem bedeutend, sagte Chatel. Auch Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) lobte als Bevollmächtigte für die deutsch-französischen Beziehungen die Einzigartigkeit des Buches. Schüler des Deutsch-Französischen Gymnasiums (DFG) schilderten dem Erziehungsminister ihre Erfahrungen. "Zeitungsartikel aus beiden Ländern zeigen, wie das eine Land über das andere dachte", sagte Svea Schröder. "Man sieht immer beide Seiten, das hat man sonst in keinem Buch", ergänzte Sophie Ziegler.Die symbolische Bedeutung des deutsch-französischen Geschichtsbuches ist unumstritten, dennoch gibt es Kritik. Dass Frankreich kürzlich seine Lehrpläne geändert hat, wurde zu einem Hindernis für den ersten Band (Antike bis 1815). Er erschien Mitte 2011 nach den beiden anderen. "Das war ein bedauernswerter Betriebsunfall", sagt Rolf Wittenbrock, ehemaliger Leiter des DFG, der an der Entstehung beteiligt war. Ob französische Lehrer das Buch nutzen werden, wenn es nicht mit dem nationalen Lehrplan übereinstimmt, sei fraglich. Véronique Giret, französische Geschichtslehrerin am DFG, schätzt die Chancen des Buchs daher ebenfalls als schlecht ein.

Dass die Bände sozusagen "rückwärts" erschienen, sei für manche Schulen schwierig. "Viele konnten nicht anfangen, weil der erste Band nicht vorlag", sagt Wittenbrock. "Es ist ein Leuchtturmprojekt, bei dem die Gegenwartsgeschichte politisch brisanter war. Dabei hat man nicht an die Schulen gedacht." Das Projekt an sich findet Wittenbrock "großartig" - vor allem vor dem Hintergrund, dass die Unterrichtssysteme in beiden Ländern sehr verschieden seien.

Anders sieht das Illas Körner-Wellershaus, Projektleiter vom Klett-Verlag, der die deutsche Version herausgibt. Ihm zufolge lag der neue französische Lehrplan vor, den man jedoch nicht hundertprozentig habe umsetzen können. "Das deutsch-französische Geschichtsbuch ist eine zirka 80-prozentige Schnittmenge aus 17 Lehrplänen von 16 Bundesländern sowie Frankreich." Der Mehrwert sei, dass Schüler über Themen lernten, an die sie sonst nicht herankämen wie die DDR oder die Mittelmeer-Region. Das Geschichtsbuch werde neben den Deutsch-Französischen Gymnasien in Auslandsschulen beider Länder eingesetzt, aber auch in Japan, Korea, Israel oder dem Balkan - Gebiete, in denen noch Aussöhnung zu leisten sei.

Die Symbolik des Buches sei ungeheuer stark, meint Professor Rainer Hudemann, Spezialist für deutsch-französische Beziehungen an der Universität des Saarlandes. Kritisch sieht er allerdings die "zu schablonenhafte" Darstellung der deutsch-französischen Beziehungen, in der die Bedeutung der Saarland-Frage nicht vorkomme.

Dass es das Geschichtsbuch in Frankreich schwer haben könnte, ist Chatel offenbar bewusst. Das Paradoxe sei, so Chatel, dass Frankreich zwar zentralistisch regiert werde, er aber nicht entscheide, welche Geschichtsbücher zum Einsatz kämen. "Das bestimmen die Lehrer selbst."

Auf einen Blick

Das deutsch-französische Geschichtsbuch wird vom Klett-Verlag in Deutsch und vom Nathan-Verlag in Französisch herausgegeben. Laut Klett-Verlag liegen die Auflagen für Band 3 (1945 bis heute, 2006) bei 45 000 Stück, für Band 2 (1815 bis 1945, 2008) bei 20 000 sowie Band 1 (Antike bis 1815, 2011), bei 10 000 Exemplaren. mwi

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