Gitarrenklänge als "Lockmittel"

Saarbrücken. Es sollte eine große Geburtstagsparty werden, sagte man dem Vermieter. Doch statt gut gelaunter Gäste in Feierlaune marschierten am 17. Oktober 2009 im Jugendclub des Beckinger Ortsteils Honzrath einhundert Skinheads zu einem Konzert auf. Die Bands hießen "Aufbruch", "Kommando Skin", "Frontalkraft" oder "Stimmen der Vergeltung"

Saarbrücken. Es sollte eine große Geburtstagsparty werden, sagte man dem Vermieter. Doch statt gut gelaunter Gäste in Feierlaune marschierten am 17. Oktober 2009 im Jugendclub des Beckinger Ortsteils Honzrath einhundert Skinheads zu einem Konzert auf. Die Bands hießen "Aufbruch", "Kommando Skin", "Frontalkraft" oder "Stimmen der Vergeltung". Mit einer ähnlich dreisten Masche mieteten Rechtsextremisten 2008 und 2009 Anglerhütten in Mettlach-Orscholz und Ottweiler an. Derlei Treffen, berichtete die Polizei damals, zeichneten sich aus "durch extremes Aggressionspotenzial, gepaart mit einem extensiven Alkoholkonsum".Das Landesamt für Verfassungsschutz hat nun Erkenntnisse über sogenannte Rechtsrock-Konzerte im Saarland detailliert offengelegt. In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Fraktion listet die Landesregierung insgesamt zwölf Konzerte mit bis zu 200 Zuhörern seit dem Jahr 2008 auf. Es handelt sich den Angaben zufolge um zehn konspirative Skinhead-Konzerte und zwei Auftritte des rechtsextremen Liedermachers Frank Rennicke bei NPD-Veranstaltungen im Wahljahr 2009. Bei den Skinhead-Konzerten sei es "vereinzelt zu strafrechtsrelevanten Verhaltensweisen durch Besucher oder auftretende Musiker" gekommen sei. So seien Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet worden und es sei zu Volksverhetzungsdelikten gekommen. "Mangels gerichtsfester Dokumentation bzw. Beanzeigung wurden keine Ermittlungsverfahren eingeleitet", so die Regierung.

Seit April 2011 gab es nach Beobachtungen des Nachrichtendienstes kein einziges rechtsextremistisches Konzert mehr im Saarland. "Offensichtlich vor dem Hintergrund eines erhöhten Verfolgungsdrucks durch die Sicherheitsbehörden", so die Landesregierung, weiche die Szene gerade bei größeren und damit kostenintensiveren Veranstaltungen verstärkt auf grenznahe Orte in Frankreich aus. So hätten sich Angehörige der saarländischen Kameradschaftsszene an mehreren Konzerten in Lothringen beteiligt, darunter auch an einem europaweiten Treffen am 9. Juli 2011 in Rohrbach-lès-Bitche mit 2500 Besuchern. Das vorerst letzte Konzert am 3. November 2012 in Toul soll 1500 Besucher angezogen haben.

"Szenetypische Musik genießt seit Jahren in allen Bereichen rechtsextremistischer Erscheinungsformen einen hohen Stellenwert", schreibt die Landesregierung. "Mit Textinhalten, die offen oder versteckt rechtsextremistische Feindbilder bzw. nationalistisches, fremdenfeindliches, antisemitisches und antidemokratisches Gedankengut transportieren, ist sie auf Grund ihrer identitätsstiftenden Funktion zugleich 'Lockmittel' zur Heranführung und Bindung insbesondere Jugendlicher, Medium für die Entwicklung sowie den Zusammenhalt der zumeist nur lose strukturierten subkulturellen Szene und wichtiges Propagandamittel für den organisierten Neonazi- und Parteienbereich."

Mit der Verteilung kostenloser Tonträger, Download-Angeboten im Internet und Konzerten werde versucht, neue Anhänger zu gewinnen. Unterschiedlichste Musikstilrichtungen würden dabei bedient - hauptsächlich Rock und Hard Rock, Heavy Metal und Black Metal sowie Pop- und Volksmusik. "Auch rechtsextremistische Zusammenschlüsse im Saarland bedienen sich sehr bewusst des identitätsstiftenden Mediums Szenemusik als 'Klammer' für den internen Zusammenhalt und als Mittel, Jugendliche bzw. junge Heranwachsende an ihre Ideologie heranzuführen", heißt es in dem Dokument der Landesregierung weiter. Dies werde unter anderem daran deutlich, dass inzwischen Szenebands wie "Jungsturm", "Hunting Season" und "Wolfsfront" im Saarland beheimatet seien. Sechs Auftritte der Band "Jungsturm", die es in rechtsextremen Kreisen zu europaweiter Bekanntheit gebracht hat, fanden den Angaben zufolge in einem eigenen Proberaum in St. Ingbert statt - meist aus Anlass eines Geburtstages eines Szene-Angehörigen. "Rechts- extremistische Zusammen- schlüsse im Saarland bedienen sich sehr bewusst des Mediums Szenemusik."

Aus einem Dokument der Landesregierung

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