Ghetto im Herzen des Saarlandes

Lebach. Wohnen auf minimalem Raum, schlechtes Essen, die andauernde Angst, innerhalb von Stunden von der Polizei in ein Flugzeug gesetzt und abgeschoben zu werden. So hatte sich Tahra Naseem Deutschland nicht vorgestellt. "Ich dachte, Deutschland wäre ein freies Land. Ein Land, in dem ich als Frau mehr Rechte habe, selbst entscheiden darf. Aber frei? Frei fühle ich mich hier nicht

 Naseem Tahra wohnt seit neun Jahren mit ihren Kindern in der Landesaufnahmestelle. Foto: O. Dietze

Naseem Tahra wohnt seit neun Jahren mit ihren Kindern in der Landesaufnahmestelle. Foto: O. Dietze

Lebach. Wohnen auf minimalem Raum, schlechtes Essen, die andauernde Angst, innerhalb von Stunden von der Polizei in ein Flugzeug gesetzt und abgeschoben zu werden. So hatte sich Tahra Naseem Deutschland nicht vorgestellt. "Ich dachte, Deutschland wäre ein freies Land. Ein Land, in dem ich als Frau mehr Rechte habe, selbst entscheiden darf. Aber frei? Frei fühle ich mich hier nicht." Tahra ist 49 Jahre alt, stammt aus Pakistan und ist seit neun Jahren in der Landesauffangstelle Lebach - im Lager Lebach, wie die Bewohner es nennen - untergebracht. Die alleinerziehende Mutter lebt seit fünf Jahren mit drei Töchtern und drei Söhnen in einer kleinen, engen Wohnung. Etwa 60 Quadratmeter groß. Eine Verbesserung: Vier Jahre lang hauste die siebenköpfige Familie in zwei 16 Quadratmeter kleinen Zimmern.865 Menschen leben nach Angaben des saarländischen Innenministeriums in der Landesaufnahmestelle in Lebach. Bei 350 von ihnen läuft derzeit ein Asylverfahren. Bei 450 wurde dieses bereits abgelehnt. Sie gelten als geduldet und sind ausreisepflichtig. "Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung" steht in ihren deutschen Papieren. 212 Bewohner der Aufnahmestelle sind Kinder.

Seit Jahren fordert der Saarländische Flüchtlingsrat (SFR) die Auflösung des "Lagers" und die Verteilung der Bewohner auf die Gemeinden, wie es zum Beispiel in Rheinland-Pfalz gängige Praxis ist. Immer wieder verweist der SFR dabei auf die aus seiner Sicht menschenunwürdigen Lebensbedingungen im Lager. Georg Jungmann, Staatssekretär im Innenministerium, widerspricht dem: "Die Menschen leben dort in guten Verhältnissen." Eine zentrale Aufnahmestelle sei für das Saarland sinnvoller als eine dezentrale Verteilung der Menschen auf die Kommunen. Als Grund nennt er die höheren Kosten für die Gemeinden sowie die bessere Versorgung mit sozialen Einrichtungen für die Bewohner, wenn diese an einem Punkt versammelt sind. Die Integration der Bewohner stehe nicht im Vordergrund, da diese ausreisepflichtig seien und Integration in die Gesellschaft im Falle einer Ausreise oder Abschiebung eher hinderlich für die Betroffenen sei.

Zu fünft auf 16 Quadratmetern

"Ich fühle mich wie in einem Ghetto, wie in einem Gefängnis", erzählt Tanja Al Daoud-Kadyrova. Die gebürtige Turkmenin musste vor zehn Jahren mit ihrer Familie aus Syrien fliehen. Ihr Mann, ein syrischer Kurde, ist Mitglied in der Demokratischen Kurdischen Partei und brachte das Assad-Regime mit kritischen Karikaturen gegen sich auf. Festnahmen durch den Geheimdienst und Hausdurchsuchungen waren die Folge. Eine Anerkennung als politische Flüchtlinge in Deutschland brachte den Al Daouds nichts. Seit zehn Jahren lebt die Familie in der Landesaufnahmestelle. Fünf Jahre lang in einem 16 Quadratmeter großen Zimmer. Mit zwei kleinen Kindern und einem Baby. Bad und Küche mussten sie mit einer anderen Familie teilen. Auch heute noch haben die Al Daouds keine Dusche in der Wohnung und kein warmes Wasser. "Wenn ich aus dem Fenster über das Lager sehe, komme ich mir vor wie in der Dritten Welt", erzählt Tanja Al Daoud. "Unsere Kinder erleben hier jeden Tag Elend und Stress. Wir fühlen uns unterdrückt und weggeschlossen. Meinem schlimmsten Feind wünsche ich kein Leben, wie wir es hier führen müssen", erzählt Al Daoud unter Tränen.

Ihren Kindern ein besseres, freieres Leben ermöglichen wollte auch Tahra Naseem aus Pakistan. 20 000 Euro zahlte sie Schleusern für die Überfahrt nach Europa und dann nach Deutschland. Ihr Pass ging auf der Flucht verloren, sagt sie. Ein Umstand, der sie heute vor der Abschiebung rettet. Weil ihr vorgeworfen wird, ihre Abschiebung zu verhindern, bekommt Tahra Naseem aber auch keine Arbeitserlaubnis. Doch nicht nur sie leidet darunter. Auch ihre 23-jährige Tochter Samer darf nicht arbeiten. "Warum bin ich dann jahrelang hier zur Schule gegangen?", fragt sie in akzentfreiem Deutsch. "Ich habe mich schon oft um eine Ausbildung beworben, würde auch genommen werden, doch weil meine Mutter keinen Pass vorlegen kann, bekomme ich keine Arbeitserlaubnis." Der jungen Frau, die mit zwölf Jahren nach Deutschland kam, droht wie der ganzen Familie die Abschiebung. "Was soll ich in Pakistan? Ich müsste mich verschleiern, würde sofort verheiratet und wenn ich mich anziehen würde wie hier, wäre ich bald tot", sagt Samer.

Meinung

Menschenwürde kostet Geld

Von SZ-RedaktionsmitgliedFlorian Rech

Die neue Landesregierung will 100 000 Euro in die Hand nehmen, um die Wohnverhältnisse in der Landesaufnahmestelle zu verbessern. Geld, das dringend notwendig ist. Geld, das aber nicht dazu führen wird, die menschenunwürdigen Bedingungen dort zu beheben. Zu viele Menschen leben im Lager Lebach auf zu kleinem Raum. Sinnvoller wäre die Auflösung der Aufnahmestelle und die Verteilung der Bewohner auf die Gemeinden. Das wird die überschuldeten Kommunen mehr Geld kosten. Aber: Menschenrechte sind nicht zum Nulltarif zu haben und Lager - selbst solche ohne Mauern und Zäune - haben in unserem Land nichts verloren.

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