Fünf jahre danach Britta kämpft sich ins Leben zurück

Tholey · Heute vor fünf Jahren wurde die 31-Jährige so misshandelt, dass sie fast starb. Doch sie gibt nicht auf – trotz Rückschlägen und einer Betrügerin.

 Ihr Strahlen zeigt es: Britta Schug lässt sich nicht unterkriegen auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben.

Ihr Strahlen zeigt es: Britta Schug lässt sich nicht unterkriegen auf ihrem Weg in ein selbstbestimmtes Leben.

Foto: Regina Backes

Sie besucht Rockkonzerte, reist gern, verbringt ihre Zeit mit Freunden. Und schmökert in Büchern. Britta Schug lebt ihr Leben so, wie es viele in ihrem Alter tun. Allerdings mit dem gravierenden Unterschied, dass die 31-Jährige für die alltäglichsten Dinge viel mehr Kraft aufbringen muss als die meisten ihrer Altersgenossen. Denn die junge, einst sehr agile Frau ist seit einer unglaublich brutalen Tat körperlich stark eingeschränkt, auf Rollstuhl und menschliche Hilfe angewiesen. Doch davon lässt sich die zierliche und zugleich starke Person aus dem Tholeyer Ortsteil Scheuern nicht unterkriegen. Trotz Rückschlägen will sie unbeschwert den Alltag genießen. „Mir geht’s super“, sagt sie.

Ein Rückblick auf den 26. August 2012 – der Tag, der ihr bis dahin heiles Leben komplett umkrempelte. Die damals 26 Jahre alte Studentin hatte während der Kirmes im Nachbarort Hasborn-Dautweiler einen Bekannten getroffen. Sie kannten sich schon lange, hatten sich aber eine ganze Weile nicht gesehen. Sie verbrachte den Abend mit dem 29-Jährigen. Ein vertrauensvolles, freundschaftliches Verhältnis, wie sie fälschlicherweise  annahm.

In der Nacht begleitete sie den Mann ins Haus seiner Eltern: Dort begann wenig später das Martyrium für Britta. Ihr Peiniger schlug sie hinterrücks mit einem hölzernen Samurai-Schwert nieder. Dann würgte er die wehrlose Frau bis zur Bewusstlosigkeit und vergewaltigte sie. Er fesselte sie und zwängte Britta in den Kofferraum ihres Wagens, fuhr das Auto zu einer unbeobachteten Stelle am Waldrand, warf den Zündschlüssel weg und kehrte zu Fuß zu seinem Elternhaus zurück.

Mehr als 20 Stunden verbrachte die Frau geknebelt in dieser ausweglosen Situation, bis Familienangehörige und Freunde sie  aufspürten. Sie lag nur noch röchelnd in dem Auto.

Das ist auf den Tag genau fünf Jahre her. Und bis heute leidet Britta unter Lähmungen aufgrund der massiven Gewalt. Den Täter aus dem Nordsaarland verurteilten Richter am Saarbrücker Landgericht Ende Februar 2013 unter anderem wegen versuchten Mordes und schwerer Vergewaltigung zu lebenslanger Haft. Zusätzlich verhängten sie 200 000 Euro Schmerzensgeld, in dieser Höhe nach Gerichtsangaben eine einmalige Summe in der deutschen Justizgeschichte, die einem Vergewaltigungsopfer zugesprochen wurde. Die Richter waren selbst ob der Brutalität, mit der Brittas Bekannter gegen sie vorging, fassungslos. Seine herz- und emotionslose Entschuldigung im Verhandlungssaal kauften sie ihm nicht ab und gingen beim Strafmaß sogar über das vom Staatsanwalt geforderte hinaus.

Bis heute leidet Britta unter den Spätfolgen dieser Tat. Mehr als ein Dutzend Operationen musste sie schon über sich ergehen lassen, berichtet ihre Mutter Regina Backes. Wegen erneuter starker Schmerzen brach sie vor wenigen Tagen eine Rehabilitation im nordrhein-westfälischen Herdecke ab. In der dortigen Spezialklinik Ambulanticum habe sie im vergangenen Jahr „gute Fortschritte“ gemacht, sagt die Mutter, die sie zu jeder Therapie begleitet. „Jedoch wurde das Ziel nicht erreicht, sich alleine vom Rollstuhl zum Beispiel auf die Toilette zu setzen.“

Womöglich sei Britta wegen „großer Probleme mit dem rechten Knie“ gescheitert, die sich 2016 einstellten. Im März dieses Jahres sei sie deswegen abermals unters Messer gekommen. „Seit dieser Zeit ist das rechte Knie top“, sagt Regina Backes. Ein Durchbruch, dem bald ein Rückschlag folgte: Nun bereite das linke Knie dermaßen Probleme, dass Britta vorzeitig aus Herdecke heimkehrte. Diese Woche untersuchten sie Mediziner an der Homburger Universitätsklinik. Noch ist offen, ob erneut operiert werden muss.

Regina Backes scheint seelisch schlimmer unter dem zu leiden, was ihrer Tochter angetan wurde, als das Opfer selbst. Während Britta standfest während des damaligen Prozesses ihrem Vergewaltiger in die Augen blicken wollte, liefen Regina Backes die Tränen über die Wangen. Und auch jetzt berichtet die Mutter sehr bedrückt von den Aufs und Abs.

Britta lässt sich von alledem zumindest öffentlich nichts anmerken. „Ich lebe mein Leben genauso wie früher, halt mit ein paar Einschränkungen“, sagt sie selbstbewusst. „Ich gehe noch genauso oft auf Konzerte und lese auch noch viel.“ Wenn sie was vermisse, sei es das: „Am meisten fehlt mir, selbst Auto zu fahren.“ Voraussichtlich wird sie das nie wieder tun. Doch nachdem Ärzte zu Beginn prophezeiten, dass Britta ein Pflegefall bleibe, erscheine der bisher erzielte Fortschritt wie ein Wunder. Wie die vielen Freuden, die Britta in den zurückliegenden Jahren nach dem Grauen aufleben ließen. „Das schönste Erlebnis war, alle Spieler des FC Bayern getroffen zu haben, und dass ich im saarländischen Tatort eine kleine Komparsenrolle hatte.“

Britta kämpft unentwegt für ihr selbstbestimmtes und selbstgeführtes Leben. Dazu musste das Wohnhaus behindertengerecht umgebaut werden, unter anderem ein Fahrstuhl her. Viele Unterstützer, nicht nur in ihrem Heimatort, machten sich dafür stark. Mit Benefizaktionen sammelten sie Geld für die notwendigen Arbeiten.

Sogar eine Bauzeichnerin bot ihre Dienste an, kostenlos. Doch damit traf Britta erneut ein Schicksalsschlag: Die gleichaltrige Frau aus Nonnweiler hatte niemals vor, auf eigene Kosten den Umbau zu planen. Schlimmer noch: Sie schröpfte ihr Opfer, schöpfte 30 000 Euro vom Spendenkonto ab, ohne Gegenleistung. Sie beglich ihre Schulden mit dem ergaunerten Geld. Und zahlte auch nichts an die beteiligten Firmen. Grund genug für einen Neunkircher Amtsrichter, die betrügerische Frau Mitte 2015 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung zu verurteilen und dazu, den Schaden wieder gutzumachen.

„Wir haben nur einen Bruchteil davon wiedergesehen“, berichtet Regina Backes. Die vor Gericht verabredeten Raten – nur einmal kam die Verurteilte dem nach. Mittlerweile verhängte ein Richter eine Gefängnisstrafe. Nicht allein nur deswegen, weil sie das Gewaltopfer Britta hinters Licht geführt hat: Sie setzte ihren betrügerischen Streifzug fort. Bot über Ebay Dinge an, die sie nie beabsichtigte abzugeben. Dennoch kassierte sie hinterhältig von gutgläubigen Kunden.

Dieses traurige Kapitel hat Britta ebenfalls abgehakt, lässt sich von solchen Zeitgenossen nicht in ihrer Lebenslust beirren. Sie denkt positiv: „Ich habe auch viele nette Menschen kennen gelernt.“ Darum verschwende sie auch keine Erinnerungen an den Bekannten, der maßgeblich für all das verantwortlich ist. „Ich denke über denjenigen, der mir das angetan hat, gar nicht mehr nach.“

 Britta Schug diesen August während ihrer Bewegungstherapie. Hinter ihr steht Mutter Regina Backes.

Britta Schug diesen August während ihrer Bewegungstherapie. Hinter ihr steht Mutter Regina Backes.

Foto: Regina Backes

Dennoch hat sich Britta eine neue Aufgabe gestellt, die unweigerlich ihre Erinnerungen daran fordert: „Mein nächstes Ziel ist es, ein Buch über das Geschehene zu schreiben.“ Ohne fremde Hilfe? „Ja, ich will es gerne alleine versuchen.“  Volle Unterstützung erhält sie von ihrer Mutter, die weiß, dass Britta immer „Vollgas geben will“. Seit fünf Jahren nach dem schrecklichen Geschehen.

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