Geringes Interesse an gesünderem LebenWenn Kalorien Körper und Seele krank machen

Püttlingen. Püttlingen war zur Modell-Stadt für einen zweijährigen Versuch geworden, der dazu dienen sollte, Übergewicht bei Kindern zu bekämpfen und so späteren Erkrankungen vorzubeugen. Dass es dabei auch darum ging, die ganze Familie mit einzubeziehen, zeigt sich schon am kompletten Titel: "We prevent (Wir beugen vor) - Gesund leben in unseren Familien"

 Lecker ist nicht immer gesund. Doch eine Studie in Püttlingen zeigte, dass übergewichtige Kinder und deren Familien kaum zu motivieren sind, ungesunde Lebensgewohnheiten zu ändern. Foto: gms

Lecker ist nicht immer gesund. Doch eine Studie in Püttlingen zeigte, dass übergewichtige Kinder und deren Familien kaum zu motivieren sind, ungesunde Lebensgewohnheiten zu ändern. Foto: gms

Püttlingen. Püttlingen war zur Modell-Stadt für einen zweijährigen Versuch geworden, der dazu dienen sollte, Übergewicht bei Kindern zu bekämpfen und so späteren Erkrankungen vorzubeugen. Dass es dabei auch darum ging, die ganze Familie mit einzubeziehen, zeigt sich schon am kompletten Titel: "We prevent (Wir beugen vor) - Gesund leben in unseren Familien". Auf die Beine gestellt wurde die Untersuchung von der - zum Jahreswechsel geschlossenen - Deutschen Klinik für Naturheilkunde und Präventivmedizin in Püttlingen.Um es vorweg zu nehmen: Klinikleiter Professor Michael Stimpel zieht eine sehr ernüchternde Bilanz, die zusammengefasst lautet: Das Interesse an dem Projekt hielt sich an Schulen und insbesondere in betroffenen Familien sehr in Grenzen.

Ebenso begrenzt war die Einsicht, dass selbst aktiv etwas getan werden muss, um Übergewicht und den daraus entstehenden Gefahren für die Gesundheit zu begegnen - frei nach dem Motto "dem Kind fehlt ja nichts" - dabei wird ausgeblendet, dass Übergewicht eines Kindes auch dessen Leben und Gesundheit als Erwachsener beeinflusst und nicht zuletzt das Risiko von erhöhtem Blutdruck, Gefäß- und Herzerkrankungen deutlich steigert. Offenbar, so Stimpel, bedürfe es meist erst eines großen Leidensdrucks durch dann wirklich schon vorhandene Krankheiten, um seine Lebensgewohnheiten umzustellen.

Seine Mitarbeiter, schildert Stimpel, hatten das Projekt mit vielen unbezahlten Überstunden umgesetzt. Ganz bewusst sollten dabei auch "kommunale Strukturen", etwa Schulen und Politik, eingebunden werden. Doch in der Zusammenfassung heißt es: "Kommunale Strukturen zeigten - mit Ausnahme der niedergelassenen Ärzte - wenig oder kein Interesse". Von den betroffenen Familien beteiligten sich nur etwa fünf Prozent, und manche sprangen wieder ab: In Folge früherer Untersuchungen rechnete man in den 600 Püttlinger Familien mit Grundschulkindern mit 60 bis 90 übergewichtigen Kindern. Alle 600 Familien wurden angeschrieben, zudem wurde "We prevent" über Schulprojekte, Medien und Hausärzte bekannt gemacht. Letztlich beteiligten sich zwölf Familien: fünf der angeschriebenen und sieben weitere von 23 Familien, die gezielt von niedergelassenen Ärzten auf das Projekt aufmerksam gemacht worden waren.

Letztlich konnte aber nach zwei Jahren nur bei je einem Jungen und einem Mädchen eine deutliche Verbesserung des Körper-Masse-Indexes (BMI) festgestellt werden, bei mehreren leichte Verbesserungen der Blutwerte. Auch bei den Eltern, die sich beteiligten, wurden kaum nennenswerte Verbesserungen registriert. Und in Schulen würden gesundheitsfördernde Elemente nur "sehr bedingt" in die Praxis umgesetzt - einzige positive Ausnahme: Der Verzehr von Obst, Gemüse und Wasser sei erkennbar gestiegen.

In der Schlussfolgerung heißt es, "dass die überwältigende Mehrheit der Eltern mit übergewichtigen Kindern keinerlei Interesse hatte", längerfristig daran mitzuwirken, die Lebensgewohnheiten umzustellen, um bei den Kindern und bei sich selbst eine Gewichtsreduktion zu erreichen.

Auch bei den teilnehmenden Familien habe es trotz einer verhaltens-, ernährungs- und sporttherapeutischen Betreuung über zwei Jahre keine dauerhafte Veränderung des Lebensstils gegeben - eine Verringerung des "kardiovaskulären Gesamtrisikos" konnte somit weder bei den übergewichtigen Kindern noch bei den Eltern erreicht werden.

Püttlingen. Übergewicht, Adipositas (Fettleibigkeit) und deren Folgeerkrankungen nehmen in allen industrialisierten Ländern auch bei Kindern und Jugendlichen zu, heißt es in der Studie "We prevent" der DKNP. In Deutschland seien 10 bis 18 Prozent der Kinder übergewichtig, 4 bis 8 Prozent sogar adipös. 45 Prozent der adipösen Kinder und bis zu 85 Prozent der adipösen Jugendlichen werden auch fettleibige Erwachsene mit einem deutlich erhöhten Risiko für eine ganze Reihe von Erkrankungen, darunter Gefäß-, Herz-, Atemwegs- und Darmerkrankungen, Schädigungen des Bewegungsapparates und Tumor-Erkrankungen.

Auch haben adipöse Kinder eher große emotionale Probleme, häufiger Selbstmord-Gedanken und sind eher für einen Schulabbruch prädestiniert. Eine Studie zur psychosozialen Belastung ermittelte bei übergewichtigen Kindern eine ebenso schlecht empfundene Lebensqualität wie bei krebskranken Kindern. Kinder mit Übergewicht und Adipositas zeigen auch häufiger Entwicklungsdefizite, "so sind Grobmotorik und Koordination bei einem Drittel der adipösen Kinder nicht altersentsprechend, bei Normalgewichtigen liegt dieser Anteil nur bei 10 Prozent", heißt es in der DKNP-Studie.

Die Ursachen und Risikofaktoren für Übergewicht sind vielschichtig, sie können genetisch bedingt sein, hängen aber auch von der sozialen Stellung ab. "So sind in Deutschland unter anderem ein niedriger Sozialstatus und ein Migrationshintergrund aus Südeuropa Risikofaktoren für die Entstehung von Übergewicht bei Kindern." Zudem sind viele Kinder auch dadurch gefährdet. dass sie in einer "adipogenen Umwelt" aufwachsen, also in einem Umfeld mit Über- oder Fehlernährung durch fettreiche und energiedichte Nahrung bei körperlicher Inaktivität. Weitere Risikofaktoren für ein Übergewicht des Kindes sind eine schlecht behandelte Schwangerschafts-Diabetes der Mutter, Rauchen in der Schwangerschaft, eine zu kurze Stilldauer und eine übermäßige Gewichtszunahme des Babys im ersten Lebensjahr.

Im Saarland waren von den im Jahr 2007 eingeschulten Kindern 236 Jungen (5,2 Prozent) und 278 Mädchen (6,6 Prozent) übergewichtig, an Adipositas (Fettleibigkeit) litten 287 Jungen (6,3 Prozent) und 215 Mädchen (5,2 Prozent). mr

Foto: Kirsten Bucher

Zur Person

ProfessorMichael Stimpels fachlicher Schwerpunkt sind Herz- und Kreislauferkrankungen, er engagiert sich seit mehr als 25 Jahren in der Präventivmedizin, betreute früher auch in anderen Bundesländern Präventions-Projekte, so das Aescuprevent-Projekt in Baden-Württemberg. mr

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