Für die Statistik gibt es keine Kurden

Saarbrücken. Ankommen sollen sie in Deutschland, nicht nur körperlich, sondern im Kopf, möglichst mit dem Herzen. Und erfolgreich sollen sie sein. Das, sagt der Saarbrücker Soziologe Suat Mentes, fordere "die Mehrheitsgesellschaft" von Einwanderern. Mentes ist Türke. Er weiß, dass das alles nicht so einfach ist, wie sich viele Leute das vorstellen

Saarbrücken. Ankommen sollen sie in Deutschland, nicht nur körperlich, sondern im Kopf, möglichst mit dem Herzen. Und erfolgreich sollen sie sein. Das, sagt der Saarbrücker Soziologe Suat Mentes, fordere "die Mehrheitsgesellschaft" von Einwanderern. Mentes ist Türke. Er weiß, dass das alles nicht so einfach ist, wie sich viele Leute das vorstellen. Besonders schwierig sei es für die jungen Leute, die zwar einen türkischen Pass haben, sich selbst aber niemals als Türken sehen werden: die Kurden. Menschen, die einen Konflikt mit nach Saarbrücken bringen, der seine Wurzeln ein paar Tausend Kilometer weit entfernt hat. In Saarbrücken, wie in anderen deutschen Großstädten, treffen türkische und kurdische Jugendliche aufeinander. Die einen sind geprägt vom türkischen Nationalismus, der für viele Familien gerade in der Fremde wichtig scheint. Die anderen sind in Deutschland, weil sie eben vor diesem türkischen Nationalismus geflohen sind. Ein Konflikt, der auch die Deutschen angeht, sagt Yusuf Geçtan. Der Sozialarbeiter ist Leiter der kurdischen Gemeinschaft im Saarland und stellvertretender Sprecher des Saarbrücker Integrationsbeirats. Die deutsche Politik, fordert er, müsse "Räume schaffen, in denen sich beide Seiten mit Respekt begegnen können". Solche Räume bietet seit 30 Jahren der Deutsch-Ausländische Jugendclub in der Johannisstraße im Nauwieser Viertel. Dort haben sich der Türke Suat Mentes und der Kurde Yusuf Geçtan neulich getroffen, um zu überlegen, wie Integration funktionieren kann in Saarbrücken. Wie man damit umgehen kann, dass nicht nur türkische und deutsche, sondern auch kurdische und türkische Kultur aufeinandertreffen. 2473 Türken leben laut städtischer Statistik in Saarbrücken. Das sind 1,4 Prozent der Bevölkerung und 10,5 Prozent der Menschen, die keinen deutschen Pass haben. In Saarbrücken sind die Türken die zweitgrößte Ausländergruppe hinter den Italienern. Wie viele dieser Türken Kurden sind, sagt die Statistik nicht. Für deutsche Statistiker gibt es keine Kurden. Dabei, sagt Yusuf Geçtan, liegen Welten zwischen Türken und Kurden. Die einen kamen als so genannte Gastarbeiter, die anderen als Flüchtlinge nach Deutschland. Die Türken haben ihr Geld dann aber irgendwann nicht mehr nach Hause geschickt, sondern hier Häuser gekauft. Aus Gästen wurden Einheimische. Die kurdischen Kinder sind derweil mit ihren Eltern auf die Straße gegangen und haben demonstriert - für die Rechte der Kurden in deren Heimat und gegen das Verbot kurdischer Organisationen in Europa. Das führe mitunter zu Konflikten - etwa in Schulen, wo kurdische Kinder sich nicht neben türkische Kinder setzen wollen - und umgekehrt. Gewalt, sagt Suat Mentes, entstehe dabei auch aus "einer inneren Zerrissenheit" heraus. Dass sich selbst hier geborene Jugendliche an die Religion und den türkischen Nationalismus klammern, habe auch damit zu tun, dass "Deutschland es versäumt hat, Heimat zu geben". Deshalb sind sich Suat Mentes und Yusuf Geçtan einig: Die Forderung der deutschen Politik, das sich Einwanderer integrieren sollen mit Herz und Verstand, läuft ins Leere, wenn nicht vor Ort, in Saarbrücken zum Beispiel, in Integration investiert wird.

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