Wildtiere werden Stadttiere Fuchs, du hast den Müll gestohlen...

Saarlouis/Berlin · Auf der Suche nach dem optimalen Lebensraum erobern immer mehr Wildtiere Deutschlands Städte. Auch der Saarforst kennt das Phänomen.

 Ein Fuchs sucht Nahrung in einer Abfalltonne in der Stadt. Füchse fressen auch Ratten gern, die in der Stadt leben.

Ein Fuchs sucht Nahrung in einer Abfalltonne in der Stadt. Füchse fressen auch Ratten gern, die in der Stadt leben.

Foto: dpa/Stephanie Pilick

Nicht schlecht staunte Britta Kiesewalter aus Saarlouis über den Besuch, den sie neulich hatte: Mitten im Wohngebiet ist sie kürzlich zwei Füchsen begegnet. Dabei hat sie nicht nur überrascht, dass sich die Tiere auf dem eng bebauten Gebiet auf dem Steinrausch überhaupt blicken ließen – auch das sehr zutrauliche Verhalten der beiden machte sie stutzig. „Ich habe versucht, durch Klatschen und Rufen Distanz zu schaffen“, berichtet sie. Doch die Füchse ließen sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Angst habe sie keine gehabt, sagt sie. Aber sie habe sich gefragt, ob mit den Füchsen alles in Ordnung und deren Verhalten normal sei.

Erlebnisse wie dieses sind für Derk Ehlert, Wildtierexperte der Berliner Senatsverwaltung, völlig normales Tagesgeschehen. Denn in Berlin drängen schon seit Jahren immer mehr Wildtiere ins Stadtgebiet, erzählt er bei einem Vortrag in Saarlouis. Die Stadt bestehe zu 43 Prozent aus Grünfläche, erläutert er: „Das ist ein enormes Fundament für Tier- und Pflanzenarten.“ Rund 20 000 Arten aus Flora und Fauna tummeln sich in der Hauptstadt und sorgen für skurrile Szenen.

Seine große Sammlung an Fotos belegen die Situation: ein Wildschwein mitten auf dem Radweg, ein Waschbär in der Tiefgarage, ein Fuchs vor einem Gebäude, das sich gerade im Bau befindet. „Das ist keine Baustelle, sondern ein sechsgeschossiger Fuchsbau“, witzelt Ehlert und betont gleich darauf: „Man muss sich davon verabschieden, dass der Fuchs seinen Bau im Wald hat.“

Fuchs, Wildschwein und Waschbär sind nicht die einzigen tierischen Bürger in Berlin. Zu den „Big Five“ gehören nach Ehlerts Worten auch Kaninchen und Steinmarder. Zudem gebe es beispielsweise große Bestände an amerikanischen Sumpfkrebsen, Hornissen und Bibern. „Wir waren und sind sehr überrascht von der Anpassungsfähigkeit von Bibern im Stadtgebiet“, erzählt Ehlert. So errichteten diese ihre Bauten unter anderem am Schloss Charlottenburg und am Ostbahnhof. Zudem kommen jährlich fünf bis acht neue Tierarten nach Berlin. Gerade kleinere Arten wie Insekten fielen oft gar nicht auf, erläutert Ehlert, aber immer wieder kommt es zu Problemen und Verunsicherung bei den menschlichen Stadtbewohnern.

„Waschbären machen sehr viel Schaden und sehr viel Unsinn“, nennt Ehlert ein Beispiel – eins von vielen. Kaninchen sorgen mit ihren Tunnel für bauliche Schäden, Wildschweine zerstören Gärten, Parks und Friedhöfe. Der Sumpfkrebs, knallrot und bis zu zwölf Zentimeter groß, erschreckt die Menschen durch seine „typischen krebsartigen Verhaltensweisen“, wie Ehlert es ausdrückt. Einfach so los wird man die Tiere nicht: „Nicht alle Arten sind jagbar“, erläutert der Experte, und eine Jagd in vielen Teilen der Stadt sei bis auf Ausnahmefälle ohnehin nicht zulässig.

Dass keine Jagd stattfindet, sei einer der Gründe, warum sich die Tiere in der Stadt überhaupt so wohl fühlten. Hinzu komme das große Nahrungsangebot. Füchse beispielsweise ernährten sich in der Innenstadt oft von Ratten, am Stadtrand bedienten sie sich gern am Katzen- und Hundefutter, das die Menschen für ihre eigenen Vierbeiner aufstellten. Weil sich die Tiere so gut an das Leben in der Stadt angepasst hätten, sei es nicht möglich, sie in den Wald zu bringen. „Das sind Stadttiere“, betont Ehlert. Um die Konflikte zwischen Mensch und Tier einzudämmen, setzt Ehlert vor allem auf Aufklärung. „Die Menschen müssen mitgenommen werden“, sagt er. Jeder Anrufer, der sich an die Senatsverwaltung wende, werde ernst genommen. Ehlert betont, dass es wichtig sei, Respekt gegenüber Wildtieren zu haben, „aber es sind keine gefährlichen Tiere“. Auch Wildschweine würden normalerweise keine Menschen angreifen. Zu Zwischenfällen komme es nur dann, wenn ein Tier zum Beispiel verletzt sei oder sich verfolgt fühle, erläutert er: „Die Wildtiere haben Angst.“ In Situationen, bei denen zum Beispiel eine unmittelbare Gefahr abgewendet werden muss, werden in Berlin Stadtjäger eingesetzt.

Das Konzept der Stadtjäger könnte auch im Saarland interessant sein, findet Hans-Albert Letter, Direktor des Saarforst-Landesbetriebs. Denn dass Wildtiere in bewohnte Gebiete drängen, ist auch im Saarland im Kommen. „Die Wildschweine werden gefüttert und wissen, wo nichts passiert“, erläutert er. Sie gehen nach seinen Worten in die Gebiete, die nicht bejagt werden, „und machen dort alles, was man nicht will“.

Die Population der Wildschweine steige stetig, obwohl die Jäger im Saarland ihre Aufgabe erfüllen. Auch Füchse seien überall zu finden. Zumindest Britta Kiesewalter aus Saarlouis nimmt die Situation in ihrer Nachbarschaft gelassen. Sie habe nun eine Wildkamera installiert, erzählt sie unserer Zeitung. So könne sie in aller Ruhe beobachten, was die beiden Füchse auf dem Steinrausch sowie weitere Tiere dort so treiben.

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