Frühwarnsystem gegen Stromsperren Am Runden Tisch werden bis Jahresende schnelle Lösungen gesucht

Saarbrücken. Bei der Brandkatastrophe von Saarbrücken-Burbach Ende August sind vier Kinder in einer Wohnung ums Leben gekommen, in der die Stadtwerke Saarbrücken den Strom abgeklemmt hatten. Die von staatlicher Unterstützung lebenden Eltern hatten die Rechnung nicht bezahlt und erhellten ihre Zimmer mit Kerzen. Das Entsetzen war groß

 Vier Kinder starben in Burbach in einer Wohnung ohne Strom. Archivfoto: Becker und Bredel

Vier Kinder starben in Burbach in einer Wohnung ohne Strom. Archivfoto: Becker und Bredel

Saarbrücken. Bei der Brandkatastrophe von Saarbrücken-Burbach Ende August sind vier Kinder in einer Wohnung ums Leben gekommen, in der die Stadtwerke Saarbrücken den Strom abgeklemmt hatten. Die von staatlicher Unterstützung lebenden Eltern hatten die Rechnung nicht bezahlt und erhellten ihre Zimmer mit Kerzen. Das Entsetzen war groß. Bundesweit wurde daraufhin diskutiert, ob es nicht generell verhindert werden kann, dass Kinder in Wohnungen ohne Strom leben müssen. Auf Anregung der Saarbrücker Oberbürgermeisterin Charlotte Britz (SPD) kam es jetzt zu einem "Saarbrücker Vier-Punkte-Modell", dessen Ziel die Verminderung solcher Stromsperren ist. Getragen wird es von Stadt und Stadtwerken, Regionalverband und dem Energieversorger Energie Saar-Lor-Lux.Der wichtigste Punkt ist der freiwillige Verzicht von Sozialleistungsempfängern auf Schutz ihrer Daten gegenüber dem Stromlieferanten. Während früher die Sozialbehörden die Stromkosten (und auch Miete) der Bedarfsgemeinschaften aus dem Regelsatz direkt an den Stromlieferanten zahlten, haben die Leistungsempfänger heute die Verfügungsgewalt über das Geld. Der Gesetzgeber hat die Eigenverantwortung dieser Menschen gestärkt. Die Energieversorger wissen also nicht (und es geht sie rechtlich nichts an), ob der säumige Zahler ein Leistungsbezieher ist. Wenn sie es wüssten, so die Überlegung, dann könnten sie bei einer drohenden Stromsperre das Jobcenter in Kenntnis setzen. Dieses könnte dann versuchen, mit Darlehen oder Stundungsanträgen die drohende Abklemmung zu verhindern. Deshalb werden nun alle Sozialleistungsbezieher angesprochen, ob sie nicht eine entsprechende Erklärung unterschreiben möchten. Die weiteren Punkte des "Modells" sehen unter anderem vor, dass Stromsperren nur montags bis donnerstags vorgenommen werden. Durch die Beschränkung auf diese Werktage soll gewährleistet sein, dass die Betroffenen Gelegenheit haben, an Geld zu gelangen und die Sperre abzuwenden. Außerdem verpflichtet sich der Versorger, Zahlungsrückstände möglichst gering zu halten, bevor die erste Mahnung ergeht. Es sollen nur Beträge auflaufen, die durch einen Rückzahlungsplan zeitig ausgeglichen werden können.

Das "Modell" greift nur bei Leistungsempfängern. Wie Jochen Starke, Vorstandsvorsitzender von Energie Saar-Lor-Lux sagte, bildeten diese aber entgegen landläufiger Ansicht nicht die Mehrzahl der säumigen Zahler. Diese seien oft Menschen, die eigentlich genug Geld hätten, ihren Etat aber nicht managen könnten. In Saarbrücken leben derzeit nach Auskunft der Stadtwerke 500 Haushalte ohne Strom, übers Jahr sind es etwa 2000, Tendenz steigend. Saarbrücken. Im gesamten Saarland sollen einkommensschwache Haushalte besser vor Stromsperren geschützt werden. Ein Runder Tisch von Energieversorgern, Sozialbehörden und Kommunalvertretern, der am 7. November erstmals tagte, wird im Dezember ein zweites Mal zusammenkommen. Er soll eine Empfehlung an alle beteiligten Akteure entwerfen mit dem Ziel, den Datenaustausch zwischen Unternehmen und dem zuständigen Jobcenter zu verbessern. Wie beim Saarbrücker Modell geht es unter anderem darum, die Sozialbehörde frühzeitig zu informieren, wenn einem Hartz-IV-Empfänger eine Stromsperre droht - dies ist wegen datenschutzrechtlicher Bestimmungen ohne eine Einwilligungserklärung nicht möglich. "Wir sind optimistisch, dass wir noch in diesem Jahr zu konkreten Ergebnissen kommen werden", sagt die Sprecherin des Umweltministeriums, Sabine Schorr. In Neunkirchen hat die Kommunale Energie- und Wasserversorgung AG (KEW) bereits vor zwei Jahren eine entsprechende Vereinbarung mit der Arge im Landkreis geschlossen, wie KEW-Vorstand Werner Spaniol auf Anfrage unserer Zeitung sagte.

Mehrere Stadtwerke im Saarland setzen zur Vermeidung von Stromsperren auch auf sogenannte Prepaid-Zähler. Bei ihnen müssen Stromkunden - ähnlich wie bei einem Mobiltelefon - ihr Guthaben im Vorhinein aufladen. Die Größenordnung bei der KEW Neunkirchen bezifferte Vorstand Spaniol auf unter ein Prozent aller Kunden. Auch in Merzig sind Prepaid-Zähler bereits seit Jahren im Einsatz, derzeit rund 110. "Wir machen durchweg gute Erfahrungen damit", sagte der Geschäftsführer der Stadtwerke Merzig, Daniel Barth. red

Meinung

Politik kann doch noch helfen

Von SZ-RedakteurDietmar Klostermann

Die Brandkatastrophe von Burbach, die vier Kinder das Leben kostete, hat die Politik aufgeschreckt. Bisher wurde es stillschweigend hingenommen, dass Menschen ohne Strom unter uns leben. Wo früher der Stromableser des kommunalen Versorgers bar kassierte, seine "Pappenheimer" kannte und dadurch eine soziale Kontrolle vorhanden war, müssen in der Welt der privatisierten öffentlichen Dienstleistung neue Frühwarnsysteme her. Die Anstrengungen in Saarbrücken und im ganzen Saarland, künftig Stromsperren und damit Brandauslöser zu verhindern, sind ehrenhaft. Ob sie auch funktionieren, muss leider noch bewiesen werden.

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