Finnisch, praktisch, gutTipp zum richtigen Lernen: "Bitte keine Formeln suchen!"

Saarbrücken. Der klassische Physik-Unterricht in Deutschland geht oft ungefähr so: Der Lehrer schreibt eine Formel an die Tafel, es gibt ein Experiment, die Stunde ist aus, die Schüler verstehen nur Bahnhof

 Finnlands Erfolgsrezept bei der Pisa-Studie: Lebendiges Lernen. Auch darum geht es derzeit auf dem HTW-Kongress.Foto: dpa

Finnlands Erfolgsrezept bei der Pisa-Studie: Lebendiges Lernen. Auch darum geht es derzeit auf dem HTW-Kongress.Foto: dpa

Saarbrücken. Der klassische Physik-Unterricht in Deutschland geht oft ungefähr so: Der Lehrer schreibt eine Formel an die Tafel, es gibt ein Experiment, die Stunde ist aus, die Schüler verstehen nur Bahnhof. In Finnland sieht es anders aus, wie der internationale Kongress "Neue Formen der Lehre und des Lernens" an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Saarbrücken gestern zeigte. Wenn finnische Schüler Physik lernen, wird es praktisch und anschaulich, bevor Formeln gepaukt werden. Und dann wird es erfolgreich, wie die Pisa-Studie regelmäßig zeigt. Über das finnische Erfolgsrezept - nach dem Motto Unterricht als Erlebnis oder "Lernen mit Gestalten"- sprach Pasi Ketolainen, Physik-"Lehrer des Jahres" in seiner Heimat.Dass Finnland bei Pisa top sei und Deutschland nur Mittelmaß, liege zwar auch an strukturellen Unterschieden in Bildungssystem und Gesellschaft, so ein Tenor des Kongresses, zu dem sich rund 200 Teilnehmer angemeldet haben (die meisten Zuhörer im Publikum sind Lehrer). Aber es liegt eben auch am anderen Unterricht. Dabei sei vor allem - und nicht nur in Physik - der Gestalt-Charakter wichtig, sagte Ketolainen. "Erst die Praxis, dann die Theorie", stehe im Lehrplan. Finnische Physik-Schüler etwa experimentieren viel, bevor Gravitation oder Masse abstrakt werden. Auch die Hausaufgaben sind praktisch, etwa die Frage "Wie effizient ist unsere Mikrowelle?" Daheim zu messen mache die Theorie "erlebbar" und einprägsamer als im Frontalunterricht. Und überhaupt: Alles Lernen beginne mit Wahrnehmung und Formeln nützten gar nichts, befand Kaarle Kurki-Suonio, emeritierter Professor aus Helsinki, im SZ-Gespräch: "Ich habe während meiner ganzen Karriere gegen die 'Formelkrankheit' gekämpft". Sie sei der "größte Fehler des traditionellen Physikunterrichts". Nur die Formel ohne das praktische "Erleben der Natur" führte bei Schülern bloß zu "gedankenlosem Gehorchen".

Viele gute, neue Wege gebe es auch im deutschen Unterricht schon, sagte Franziskus Sauer, HTW-Forschungskoordinator. Für mehr "Lernen im Kontext" müsse aber noch viel getan werden. Es gelte, die Sprache des Lernens neu zu begreifen - ob auf Finnisch oder Deutsch.Herr Professor Kurki-Suonio, wie lautet - ganz einfach gesagt - die Formel für den finnischen Pisa-Erfolg?

Kurki-Suonio: Ich denke, dass die Umstände in den finnischen Schulen günstig sind. Für mich lauten die Schlüsselworte Freiheit und Vertrauen. Das heißt Freiheit der Lehrer, ihren eigenen Unterricht zu planen und ihre Methoden zu entwickeln, und Vertrauen in ihre Kompetenz. Viele Lehrer probieren ganz eifrig neue Methoden aus. Finnland gibt mehr Geld für Bildung aus, es gibt kleinere Klassen, mehr Lese-Tradition, weniger Migration. Kann Deutschland trotzdem von Finnland lernen, wie richtiges Lernen geht?

Kurki-Suonio: Ich glaube, dass wir alle immer etwas von Anderen lernen können. Aber bitte keine Formeln suchen, sondern sorgfältig durchdenken und Vor- und Nachteile abwägen.Foto: HTW

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