Ein Griff ins Klo Feuchttücher legen Kläranlagen lahm

Saarlouis · Der steigende Verbrauch von Feuchttüchern führt in Kläranlagen zu großen Problemen, weil regelmäßig Pumpstationen verstopfen.

 Ein riesiger „Zopf" aus alten Feuchttüchern verstopft den Querförderer der EVS-Kläranlage. Die Entfernung ist äußerst mühsam und kostenintensiv.

Ein riesiger „Zopf" aus alten Feuchttüchern verstopft den Querförderer der EVS-Kläranlage. Die Entfernung ist äußerst mühsam und kostenintensiv.

Foto: Entsorgungsverband Saar/EVS

Mindestens einmal in der Woche müssen zwei der neun Mitarbeiter der Kläranlage Saarlouis sich gelbe Schutzanzüge und Handschuhe überstreifen, den Mundschutz anlegen und in den Keller des Pumpenhauses steigen, weil eine der vier Pumpen streikt. Grund für den Stillstand ist nicht etwa ein Defekt am Gerät oder ein Stromausfall: Stattdessen müssen sie meterlange, dicke Zöpfe per Hand aus den Gehäusen ziehen. Die Schutzanzüge sind nötig, um die Mitarbeiter vor Infektionen durch Fäkalien und Schadstoffen zu schützen, die im Abwasser lauern. „Das ist ein Knochenjob – und zudem äußerst geruchsintensiv“, sagt der Leiter der Kläranlage, Thomas Schneider. Für den Maschinenbaumechaniker-Meister besteht an der Ursache der Verstopfung kein Zweifel: Feuchtes Toilettenpapier und andere Feuchttücher haben die Anlage gestoppt. „Diese Verzopfungen gab es im Grunde schon immer, aber seit einigen Jahren ist es deutlich schlimmer geworden“, sagt der 56-Jährige, der seit 25 Jahren auf der Kläranlage des Entsorgungsverbands Saar (EVS) arbeitet.

Viele der nach Aloe Vera oder Kamille duftenden Feuchttücher – die in der Babypflege in Mode gekommen sind – sind aus reißfestem Vlies, in das Nylonfäden gewebt sind. Anders als gewöhnliches Toilettenpapier lösen diese sich nicht im Wasser auf. „Auch Taschentücher gehören nicht in die Toilette, sondern in die Restmülltonne“, sagt Simone Schäfer von der EVS-Kommunikation. „Gab es früher noch ein Fusseldrama, wenn man aus Versehen ein Tempo in der Jeans mitgewaschen hat, lassen sich diese immer öfter auch nach dem Waschgang in einem Stück aus der Hosentasche ziehen – weil das Material reißfester ist.“ Aber auch fälschlicherweise im Klo entsorgte Binden, Ohrenstäbchen und Windeln trügen zur Verstopfung bei.

Pumpe ausbauen, in ihre Einzelteile zerlegen, reinigen, wieder zusammenschrauben und einsetzen – dafür bräuchten zwei Mitarbeiter gut sechs Stunden, sagt Schneider. Teuer werde auch der Verschleiß an den Geräten. Gelangen die Fetzen hinter das Laufrad der Pumpe, könne auch die Gleitabdichtung Schaden nehmen und Abwasser ins Gerät dringen. Einen mittleren sechsstelligen Betrag kostet den EVS das Reinigen der Pumpen inklusive dem Kauf von Ersatzteilen und das Recycling von über 2500 Tonnen „Störstoffen“ in seinen 140 Kläranlagen pro Jahr. Kosten, die letztlich auf alle Bürger abgewälzt werden müssen, sagt Schäfer.

Viele Hersteller von Feuchttüchern druckten den Hinweis auf die Packung, dass die Tücher nicht in der Kanalisation entsorgt werden dürfen, die Realität sehe aber ganz anders aus. „Viele Hersteller drucken aber auch eine Abspülbarkeit drauf, aber das Problem ist dann, dass die Tücher sich nicht zersetzt haben, bis sie bei uns ankommen“, sagt sie.

Gut sieben Meter tief ist der Zulauf, in dem das Abwasser – je nach Wetterlage zwischen 18 000 und 38 000 Liter pro Tag – von den umliegenden Kanälen in der Saarlouiser Kläranlage ankommt. „Vorsicht Gasalarm“ steht auf einem gelben Schild, das leuchtet, sollte zu viel Methan-Gas in der Luft sein. Eine hohe Rechenanlage entfernt hier die gröbsten Verunreinigungen, damit diese erst gar nicht bis zu den Pumpen kommen. „Wir haben hier schon alles Mögliche rausgefischt: Gebisse, einen Ausweis und einmal war da was Größeres mit Fell. Ich glaube, das war ein Hund“, sagt Schneider.

Mancher Müll rutscht aber dennoch durch. Für einen vor den Pumpen vorgeschalteten Zerkleinerer, der Stoffe, die nicht ins Abwasser gehören, zerhäckselt, ist in der Kläranlage Saalouis, die in den 1970ern gebaut und 1988 renoviert wurde, kein Platz. Nicht immer entstehen die Verzopfungen erst in der Kläranlage, auch auf den 1070 Kilometern Abwasser-Kanälen, die der EVS unterhält, kommt es zu Blockaden, etwa wenn zum Höhenausgleich Pumpen laufen.

Neben den Feuchttüchern bereiten auch Essensreste und Arzneimittelrückstände Probleme. Nach der „mechanischen Reinigung“, bei der Abfälle, Sand und an der Oberfläche schwimmende Fette gefiltert werden, durchläuft das Wasser mehrere Klärbecken. Mikroorganismen, vor allem Bakterien, bauen darin die organischen Verunreinigungen wie Kohlenstoff-, Stickstoff und Phosphorverbindungen ab, die sonst die Gewässer überdüngen würden. War das Abwasser zu Beginn trüb und undurchsichtig, ist es am Ende wieder klar und kann in die Saar abgeleitet werden.

 Um sich vor Infektionen zu schützen, trägt Marco Rech beim Ausbau einer verstopften Pumpe in der Kläranlage Saarlouis des EVS Schutzkleidung und einen Mundschutz.

Um sich vor Infektionen zu schützen, trägt Marco Rech beim Ausbau einer verstopften Pumpe in der Kläranlage Saarlouis des EVS Schutzkleidung und einen Mundschutz.

Foto: Ruppenthal
 Der Leiter der Kläranlage Saarlouis, Thomas Schneider, zeigt auf eine ausgebaute Pumpe, aus der ein Müllzopf ragt. Die Reinigung ist langwierig, kostspielig und zudem „ein Knochenjob“.

Der Leiter der Kläranlage Saarlouis, Thomas Schneider, zeigt auf eine ausgebaute Pumpe, aus der ein Müllzopf ragt. Die Reinigung ist langwierig, kostspielig und zudem „ein Knochenjob“.

Foto: Ruppenthal
 Ein Zopf aus verklumpten Feuchttüchern steckt im Pumpen-Saugstutzen.

Ein Zopf aus verklumpten Feuchttüchern steckt im Pumpen-Saugstutzen.

Foto: EVS
 Ein Klumpen aus alten Feuchttüchern und Essensresten verstopft den Abwasserkanal.

Ein Klumpen aus alten Feuchttüchern und Essensresten verstopft den Abwasserkanal.

Foto: Entsorgungsverband Saar/EVS

Vielen Saarländern sei nicht bewusst, wie aufwändig die Klärung sei und seien oft unsicher, was eigentlich in die Toilette dürfe, sagt Simone Schäfer. Mit seiner neuen Kampagne „Klärungsbedarf“ will der EVS daher die Bürger dafür sensibilisieren. „Kindern erklären wir das immer so: Ins Klos darf nur PiKaPuTo – Pipi, Kaka, Putzwasser und Toilettenpapier“, sagt Schäfer, „– und sonst nichts!“

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