Landessozialamtschef bleibt hart Behinderte protestieren vor Saar-Sozialamt

Saarbrücken · Mehr als 100 Menschen sind zur Solidaritäts-Demo für den Schwerstbehinderten Markus Igel gekommen. Landtags-Vizepräsidentin Ries sagt: „Ich schäme mich für dieses Land.“

 Der schwerstbehinderte Markus Igel (31, Mitte) hat gestern vor dem Landessozialamt, unterstützt von mehr als 100 Demonstranten, für die Übernahme der Kosten für seine Assistenten durch das Saarland gekämpft.

Der schwerstbehinderte Markus Igel (31, Mitte) hat gestern vor dem Landessozialamt, unterstützt von mehr als 100 Demonstranten, für die Übernahme der Kosten für seine Assistenten durch das Saarland gekämpft.

Foto: BeckerBredel

Bei minus sechs Grad Celsius hat am Donnerstag der Zorn der mehr als 100 teils prominenten Behinderten und Nicht-Behinderten auf den Chef des Landessozialamts Stefan Funck vor dessen Amtssitz in Saarbrücken-Burbach für erhitzte Gemüter gesorgt. „Wir überreichen Ihnen hier mit dem USB-Stick 77 000 Protest-Unterschriften zur Unterstützung von Markus Igel. Wir teilen Ihnen mit, dass Sie ein absoluter Sonderfall sind. Nicht Markus Igel ist ein Einzelfall, den es nirgendwo anders gibt. Nein, diese Behörde ist ein Einzelfall, den es nirgendwo sonst in der Republik gibt“, sagte Constantin Grosch, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke, zu Funck, der ihm kreidebleich gegenüberstand. Die Demonstranten, darunter der bundesweit nach seinem Unfall bei „Wetten, dass...?“ 2010 zu großer Bekanntheit gelangte, querschnittsgelähmte Schauspieler Samuel Koch, die beiden Landesbehindertenbeauftragten Christa Maria Rupp (Saarland) und Matthias Rösch (Rheinland-Pfalz), der an der Glasknochenkrankheit leidende Berliner Aktivist von Ability-Watch Raul Krauthausen, die im Rollstuhl sitzenden Nancy Poser (Trierer Amtsrichterin, Forum behinderter Juristinnen und Juristen) und Michel Arriens, Campaigner von change.org aus Hamburg, bekundeten ihren Beifall.

Zwischen Funck und Grosch saß Markus Igel, 31, ein an Händen und Beinen gelähmter Tetraspastiker aus Bad Kreuznach, mit Tränen in den Augen in seinem Rollstuhl. Igel, der seit etwa fünf Jahren mit dem Landessozialamt  in Saarbrücken vor Sozialgerichten in Mainz um die Kostenübernahme für seine elf Assistenten kämpft, die ihm rund um die Uhr in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung zur Hand gehen, war überwältigt von dem Echo, das sein Schicksal bundesweit hervorruft. Mit zitternder Stimme erzählte Igel den Demonstranten von seinen Ängsten, die das Verhalten des Landessozialamtes bei ihm ausgelöst haben. Eine Zwangsvollstreckung wegen fehlender staatlicher Unterstützung habe sein Anwalt gerade noch abwenden können. „Das ist ein so unwürdiges Verhalten des Saarlandes“, sagte Igel.

„Nein zu Lohndumping in der Assistenz“, „Selbstbestimmt statt satt und sauber“ und „Paragraf 19 UN-Behindertenrechtskonvention gegen Zwangseinweisung“: Das waren Schriftzüge auf den Plakaten der Demonstranten. Igel, in Dudweiler geboren,  lebt in einer eigenen Wohnung in Bad Kreuznach, nachdem er ein Heim der Diakonie, in dem er seit seinem neunten Lebensjahr aufgewachsen war, verlassen hatte. Die Kosten für seine elf Assistenzkräfte betragen nach seinen Angaben etwa 12 900 Euro im Monat. Doch das Landessozialamt zahle ihm nur 7221 Euro. Die Lücke von 5700 Euro habe er nur decken können, weil Helfer in ganz Deutschland über eine Internet-Sammlung die erforderlichen Mittel aufgetrieben hätten.

Fotos: Demo für schwerbehinderten Markus Igel vor dem Sozialamt
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Demo für Markus Igel in Saarbrücken

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Foto: BeckerBredel

Landessozialamtschef Funck sagte der SZ: „Unserer Auffassung nach wurde der rechtliche Rahmen bei der Bemessung  des Budgets von Herrn Igel von Seiten des Landesamtes sowie des Landkreises Neunkirchen voll ausgeschöpft. Diese Bemessung hat das oberste Sozialgericht in Rheinland-Pfalz im Eilrechtsverfahren vor gut einem Monat in dieser Höhe gerichtlich überprüft und so festgestellt.“ Es sei nicht das Ziel des Landesamtes und des Kreises Neunkirchen,  Igel stationär unterzubringen. „Wir suchen weiterhin den Dialog mit Herrn Igel, um ihm auch zukünftig ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen,“ betonte Funck. Igel hatte seine Befürchtung geäußert, dass er in ein Heim zurück müsse, da er die Assistenzkräfte nicht  mehr bezahlen könne.

Dagegen wandte Birgit Mohns-Welsch (SPD), Sozial-Dezernentin des Kreises Neunkirchen, ein, dass sehr wohl eine 24-Stunden-Betreuung für Igel für 7221 Euro im Monat möglich sei. Und zwar mit Hilfe osteuropäischer Pflegedienste. Zwei Kräfte, die gesetzlich entlohnt würden, könnten sich abwechseln. Und zusätzlich könnte ein ambulanter Pflegedienst fürs Duschen täglich bestellt werden. „Das ist vollkommen unproblematisch möglich“, sagte Mohns-Welsch der SZ. Gegen diese Kalkulation protestierte Amtsrichterin Poser. „Da bekämen sie eine sechs Minus für eine solche Rechnung“, sagte Poser. Igel hat inzwischen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Mainz eingereicht. „Ich hoffe, dass jetzt etwas passiert, da wir uns vor der exekutiven Behörde versammeln“, sagte Samuel Koch der SZ. Er stecke in den judikativen Dingen nicht drin. „Das Crowdfunding für Markus Igel ist schön und gut und auch ein Zeichen. Allerdings wird es nicht lange reichen“, betonte Koch.

Die Vizepräsidentin des Saar-Landtags, Isolde Ries (SPD), die wie Dennis Lander (Linke) mit vorm Sozialamt stand, sagte der SZ: „Das ist eine Situation, in der ich mich für dieses Land schäme. Für einen Menschen mit derartig schwerer Behinderung ist meines Erachtens eine Rundum-Versorgung, auch wenn sie Kosten in fünfstelliger Höhe verursacht, eine angemessene Versorgung.“ Die Aufforderung, Pflegekräfte aus Osteuropa einzustellen, sei „ein unverantwortlicher Aufruf zum Lohndumping“, der von einer staatlichen Stelle keinesfalls erfolgen dürfe. Arriens sagte in Anspielung auf den Saarland-Slogan: „Große Schei... entsteht immer im Kleinen.“

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