Es brutzelt in der Großküche

St. Ingbert. Das Festival floriert. Zuverlässig strömten die Besucher vergangene Woche zum 26. Internationalen Jazzfestival in die Alte Schmelz und sparten nicht mit Applaus. Dennoch ist das älteste saarländische Jazz-Treffen keine Insel ungetrübter Glückseligkeit

 Mützenpflicht bei der Jazzkantine? Zumindest ein Bläser widersetzt sich wacker. Foto: Uwe Bellhäuser

Mützenpflicht bei der Jazzkantine? Zumindest ein Bläser widersetzt sich wacker. Foto: Uwe Bellhäuser

St. Ingbert. Das Festival floriert. Zuverlässig strömten die Besucher vergangene Woche zum 26. Internationalen Jazzfestival in die Alte Schmelz und sparten nicht mit Applaus. Dennoch ist das älteste saarländische Jazz-Treffen keine Insel ungetrübter Glückseligkeit. Dem allgemeinen Trend folgend, haben Peter Kleiß, seit 1999 künstlerischer Leiter, und Nils Landgren, skandinavischer Ideenlieferant im Hintergrund, weniger die eingefleischten Jazz-Jünger im Visier als vielmehr ein breites Spektrum der Popularmusik zugeneigten Fans, die eher nebenbei Jazz hören. Schade vor allem, dass dabei der zeitgenössische Experimentaljazz, der gerade an der Saar über eine starke Basis von Aktiven verfügt, außen vor bleibt.Gleich ein doppelter Griff zu Nummer Sicher, zumal bereits vor zwei Jahren an gleicher Stelle erfolgreich, war am Freitag das Tingvall Trio. Martin Tingvall (Klavier), Omar Rodriguez Calvo (Kontrabass) und Jürgen Spiegel (Schlagzeug) verbinden Funken stiebende Energie mit Eingängigkeit - kein Wunder, dass angesichts dieser durch und durch süffigen Mixtur die Beifallswogen hoch brandeten. Kehrseite der Medaille: Die Vitalität schlug häufiger in wenig differenziertes Powerplay. Auf Dauer schien das dem Tingvall-Soundkonzept innewohnende Harmoniebedürfnis wirkliche Überraschungen zu vereiteln.

Das Etikett "Funk" heftete dann die Formation Mo' Blow auf ihre Fahnen. Trumpfkarten des Berliner Vierers waren die mollig-warmen Schauer von Matti Kleins E-Piano und Felix Falks offensive Saxofonsoli. Wer Mo' Blow freilich "schwarzen Groove" bescheinigt, hat noch nie wirklich guten Funk gehört. Stocksteifheit statt lässig prickelnder Nervenstimulation: André Seidels Schlagzeugmustern ging jenes unverzichtbare elastische Pumpen völlig ab; auch Tobias Fleischer (E-Bass) wählte meist gerade spannungsarme Pfade. Trotz eifriger Sympathiebekundungen hielt sich die beim Funk sonst obligatorische Tanzwut der Zuhörer in Grenzen.

Ebenfalls schon in St. Ingbert zu Gast, und zwar im Gefolge Landgrens, war 2006 die schwedische Sängerin und Pianistin Ida Sand. Nun hat Landgren das neue Album seiner Landsfrau produziert, das sie am Samstag mit ihrem Quartett vorstellte. "Chamber Funk" nennt die Truppe ihre auf "The Gospel Truth" verewigte Mischung aus Gospel, Soul und Jazz, unter die sich neben Traditionals und eigenen Titeln auch Coverversionen von Sands Vorbild Nina Simone oder den Beach Boys, Hollies, Stevie Wonder, Sam Cooke und Jimi Hendrix mischen. Eine durchaus poppige Angelegenheit also, der vor allem Sands hier mit langer Echofahne versehene voluminöse Stimme Klasse verlieh: Dunkel, mit dezenter Schärfe und mühelosen Höhen tönte die Kehle der leidenschaftlich interpretierenden Stockholmerin. E-Bassist Sven Lindvall und Schlagzeuger Robert Ikiz (aus Landgrens Funk Unit) beeindruckten mit ökonomischem Groove, während Gitarrist Matthias Torell zugunsten von Artikulation und Klangkultur auf Griffbrettrasereien verzichtete. Doch agierte er zu kontrolliert, um das Publikum von den Sitzen zu reißen.

Das schaffte dann die Jazzkantine, indem sie mit ihrem unbekümmerten, Zitate-gespickten Hip-Hop-Rock-Jazz-Allerlei wenige Zuhörer zum Tanzen und auch einige zur Flucht animierte. Dass auch auf ihrer aktuellen Tour Landgren mitmischt - wen wundert's. Mit spießigem Landschaftsgemälde und ausgestopftem Fuchs und Dachs im Hintergrund widmete sich die Kapelle hier dem deutschen Volkslied und machte auch vor dem BiBaButzemann und AC/DCs "Highway to hell" nicht Halt. Wie Dave Brubecks "Take five" mit "Auf einem Baum ein Kuckuck" verschmolz und Gastsängerin Pat Appleton (DePhazz) "Kein schöner Land" zu Rhodes-Piano-Klängen und Slide-Guitar trällerte, kann man genial, banal oder schlicht albern finden. Eins aber muss man den Musikern aus der breitentauglich brutzelnden Großküche lassen: Sounds und Soli waren superb.

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