Erinnerung an Klaire Katzenstein

Brebach. Die Katzensteins waren ordentliche Leute. Selbst als ihre Welt unterging, musste alles seine Ordnung haben. Bevor Max Katzenstein am 26. April 1939 zusammen mit seiner Ehefrau Klaire über London in die USA ausgewandert ist, war er in Brebach auf dem Amt und hat sich aus dem Einwohnerregister streichen lassen

Brebach. Die Katzensteins waren ordentliche Leute. Selbst als ihre Welt unterging, musste alles seine Ordnung haben. Bevor Max Katzenstein am 26. April 1939 zusammen mit seiner Ehefrau Klaire über London in die USA ausgewandert ist, war er in Brebach auf dem Amt und hat sich aus dem Einwohnerregister streichen lassen. "Die beiden haben sich tatsächlich abgemeldet", sagt Manfred Hahn. Der Brebacher Stadtteilmanager hat es gehofft, es aber erst geglaubt, als er im Archiv die Namen der Katzensteins in der Meldedatei gefunden hat.Aber warum wälzt ein Stadtteilmanager Akten, um etwas über Menschen zu erfahren, die schon über 70 Jahre nicht mehr in seinem Stadtteil wohnen? Wahrscheinlich liegt es an drei Dingen: Manfred Hahn ist einer, der sich Fragen stellt. Er ist einer, der hartnäckig ist, wenn ihn die Antworten interessieren. Und Manfred Hahn interessieren Menschen und ihre Schicksale.

So hat er sich vor zwei Jahren auf die Suche nach dem Mann gemacht, dessen Glaskunst im in den Fenstern des evangelischen Gemeindehauses in Brebach aufgefallen ist: Erich Buschle. Hahn hat Werke des Künstlers aufgespürt, seinen Grabstein bewahrt und eine Ausstellung organisiert.

Über den Namen Klaire Katzenstein ist Manfred Hahn im Internet gestolpert. Dort hat er eine historische Todesanzeige entdeckt. Erschienen ist die Annonce im "Aufbau", einer Zeitschrift, die sich als Sprachrohr der deutschen Juden in den USA verstand.

Im "Aufbau" veröffentlichten Exilschriftsteller ihre Werke, in ihm las man Berichte aus dem Warschauer Ghetto direkt neben Einkaufstipps, Veranstaltungshinweisen, Suchmeldungen nach vermissten Familienangehörigen - und den Todesanzeigen. Diese eine Annonce ist Manfred Hahn ins Auge gesprungen, weil da steht, dass Klaire Katzenstein, geb. Bodenheimer, zwar in New York gelebt hat und dort am 29. April 1944 gestorben ist - aber in Brebach/Saar geboren wurde.

Klaires vier Geschwister, das hat Manfred Hahn herausgefunden, kamen in den Vernichtungslagern von Auschwitz und Sobibor um. Wie viele Juden in New York wohnten auch die Katzensteins mit ihrem Sohn John, der seinen Namen von Katzenstein in Kayston abgewandelt hatte, in der Bronx an der Nordspitze Manhattans.

Spuren der Katzensteins in Brebach zu finden, sei schwierig, sagt Hahn. "Die Geschichte der Brebacher Juden vor und während der NS-Zeit ist ein noch ungeschriebenes Kapitel. Die Zeitzeugen sind fast alle verstorben. Viele Akten sind vernichtet, die niedergeschriebenen Informationen bruchstückhaft und zum Teil widersprüchlich", erklärt er. Einige Daten hat die Brebacher Geschichtswerkstatt zusammengetragen. Und dann gibt es noch einen "Herrn Bartholomae vom Saarbrücker Eschberg", der Manfred Hahn einiges zu erzählen hatte.

Zusammen mit Archivmaterial ergibt das folgendes Bild: "Die Bodenheimer und die Katzensteins waren schon vor über 100 Jahren angesehene Kaufleute im Ort", sagt Hahn. Salomon Bodenheimer eröffnete 1880 in der Saarbrücker Straße 50 das erste Schuhgeschäft in Brebach. 1907 erbaute er in der Poststraße 4 das Textilkaufhaus Bodenheimer, das in der Pogromnacht am 9. November 1938 geplündert und zerstört wurde.

Klara, wie Klaire früher genannt wurde, wurde am 15. Juni 1890 als zweites Kind des Ehepaares Salomon Bodenheimer und Babette Kahn in Brebach geboren. Sie heiratete Max Katzenstein, bekam zwei Kinder. Zusammen mit ihrem Mann betrieb sie eine Manufakturwarenhandlung in der Saarbrücker Straße 63, später im Hause Brandenburger, Ecke Saarbrücker Straße/Johannisstraße. Nach der Rückgliederung des Saargebiets mussten sie unter dem Druck der Nationalsozialisten das Ladenlokal an der Hauptstraße aufgeben.

In der Pogromnacht wurde Klaire zusammen mit ihrem Mann von etwa 15 SA-Leuten überfallen. 1948 wurde fünf ehemaligen SA-Leuten dafür der Prozess gemacht. Manfred Hahn: "Sie wurden zu jeweils fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Der Grund für die niedrige Haftzeit: Die jahrelange antijüdische Propaganda wurde als strafmildernd anerkannt." Foto: Lang

"Über die Geschichte der Brebacher Juden ist wenig bekannt. Was bekannt ist, gerät langsam, aber sicher in Vergessenheit."

Manfred Hahn

Auf einen Blick

In diesem Jahr hat die Landeshauptstadt einige Veranstaltungen zum dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte organisiert. Vor 80 Jahren ergriff Adolf Hitler die Macht, am 9. November 1938 brannten die Synagogen. Geplant sind unter anderem folgende Veranstaltungen und Ausstellungen:

Die Stadtbibliothek zeigt in einer Ausstellung bis zum 20. April Medien mit regionalem Bezug zu Themen wie "Nationalsozialismus im Saarland", "Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Saarland" und die Ermordung Willi Grafs, das Lager Neue Bremm sowie Sachbücher über die NS-Zeit und aus der Exilliteratur. Der Eintritt ist frei.

Der Besuch des jüdischen Friedhofs in Alt-Saarbrücken steht am 14. April auf dem Programm. Ein weiterer Rundgang führt am 16. Juni von der Neuen Bremm zum jüdischen Friedhof. Die Tour kostet sechs Euro. Der Verein Geographie ohne Grenzen lädt am 15. September zu einer Tagesfahrt zur jüdischen Kultur ins Elsass ein. Die Fahrt kostet pro Person 59 Euro. Darüber hinaus gibt es am 22. September eine Stadtführung zum Thema "Das jüdische Saarbrücken". Der Rundgang kostet sechs Euro.

Am 10. Mai, zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten, lesen mehr als 20 Saarbrücker Künstler aus den Werken der verfemten Dichter. In einer Veranstaltungsreihe vom 11. Oktober bis 16. November zum Thema Widerstand, Repression und Verfolgung bietet das Theater im Viertel Schauspiel, Literatur und Konzerte. ols

saarbruecken.de/

 Die Todesanzeige aus dem "Aufbruch". Foto: Hahn

Die Todesanzeige aus dem "Aufbruch". Foto: Hahn

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