Fehlgeburten Emmas kleines Herz schlägt nicht mehr

Püttlingen · Nathalie hat ihr Kind im fünften Monat verloren. Die Mutter ließ ihr Mädchen beerdigen und fand dadurch Trost.

 Letzte Ruhe für die Kleinsten: Der evangelische Krankenhauspfarrer Ulrich Harth besucht die Grabstätte für Föten auf dem Püttlinger Friedhof Engelsfeld. Mütter und Väter haben Porzellan-Figuren, Stofftiere und Kerzen für ihre verstorbenen Kinder aufgestellt. Auch Emma ist hier begraben.

Letzte Ruhe für die Kleinsten: Der evangelische Krankenhauspfarrer Ulrich Harth besucht die Grabstätte für Föten auf dem Püttlinger Friedhof Engelsfeld. Mütter und Väter haben Porzellan-Figuren, Stofftiere und Kerzen für ihre verstorbenen Kinder aufgestellt. Auch Emma ist hier begraben.

Foto: Oliver Dietze

Das kleine Herz – es hat plötzlich aufgehört zu schlagen. Bis heute weiß Nathalie (Name von der Redaktion geändert) nicht, warum. Sie weiß nur, dass sie ihr Kind verloren hat. Im fünften Monat. Als ihr Bauch schon langsam anfing, sich zu wölben. Als schon viele Freunde und Kollegen wussten, dass sie ein Baby erwartet. „Es war ein Wunschkind. Ich hatte in meinem Alter gar nicht mehr damit gerechnet, noch schwanger zu werden. Ich war so überglücklich, als ich merkte, dass es doch noch geklappt hat, und dann das: Ich bekam plötzlich Blutungen und Unterleibsschmerzen. Ich fuhr bangend in die Notaufnahme. Dann höre ich nur noch, wie der Arzt sagt: Da ist kein Herzton mehr“, erinnert sich Nathalie an den bislang schlimmsten Tag ihres Lebens vor vier Jahren.

Laut dem Berufsverband der Frauenärzte enden schätzungsweise bis zu 40 Prozent aller Schwangerschaften in den ersten drei Monaten mit einem Abort. Am häufigsten sind genetische Störungen die Ursache, also fehlerhafte Zellteilungen, die eine Weiterentwicklung des Embryos verhindern. Nathalie hat ihr Kind nach dem ersten Schwangerschaftsdrittel verloren. Über die Gründe kann sie nur mutmaßen: „Vielleicht Stress, davon hatte ich wegen meines Jobs und Ärger mit meinem damaligen Partner genug. Oder doch eine verschleppte Infektion? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es auch heute noch unglaublich weh tut“, sagt sie.

Wie groß die Trauer nach dem Verlust eines ungeborenen Lebens ist, hängt auch immer davon ab, wie sehr das Kind gewünscht war, weiß Petra Thielen, Krankenhausseelsorgerin im Knappschaftsklinikum Püttlingen und Leiterin der Fachkonferenz Trauer im Dekanat Völklingen. Sie arbeitet seit 13 Jahren in der Klinik und hat viele ähnliche Schicksale wie das von Nathalie erlebt. „Die Frau, aber auch die ganze Familie muss lernen, mit der schmerzlichen Tatsache zu leben, ihr Baby nicht mit nach Hause nehmen zu können“, erklärt Thielen. Bewusst zu trauern, sei nach einer solchen Erfahrung sehr wichtig, denn noch Jahre später könne der verdrängte Tod eines Kindes immer wieder hochkommen und Familien sogar unbewusst bis in die nächste Generation begleiten. Natalie hat eine Selbsthilfegruppe besucht, um ihre Trauer zu bewältigen. „Es half mir einfach zu sehen: Du bist nicht alleine, das passiert nicht nur dir“, sagt sie. Und es half ihr, die Asche ihres ungeborenen Kindes beizusetzen. „Zu wissen, wo sie ist und dass ich hingehen kann, hat mich getröstet“, sagt Nathalie.

Für Föten unter 500 Gramm besteht in Deutschland keine Bestattungspflicht. Dennoch kooperieren mittlerweile viele Kliniken und Kommunen im Saarland, um für betroffene Mütter und Väter einen Ort der Trauer zu schaffen. Die Stadt Püttlingen etwa hat gemeinsam mit dem Knappschaftskrankenhaus und der Krankenhausseelsorge bereits im Jahr 2005 eine Grabstätte für Föten angelegt. Es ist eine Rasenfläche, in deren Mitte ein Grabstein aus Sandstein steht. Darauf: ein Engel und farblose Sterne, die das ungeborene Leben symbolisieren. Zwei Mal im Jahr bestatten der katholische Krankenhauspfarrer Andreas Noster und sein evangelischer Kollege Ulrich Harth die Asche von 40 kleinen Körpern konfessionsübergreifend auf dem Friedhof Engelsfeld. So auch am heutigen Donnerstag. „Die Beerdigung ist für die Trauerarbeit der Angehörigen ganz wichtig, markiert sie doch einen Abschluss“, sagt Harth. Ein Püttlinger Bestattungsunternehmer stellt für jede Beisetzung eine Urne zur Verfügung und übernimmt kostenfrei alle Transportwege von der Pathologie des Saarbrücker Winterbergklinikums, wo alle Föten nach der Ausschabung aufbewahrt werden, zurück nach Püttlingen.

Vor der Beisetzung findet eine ökumenische Trauerfeier in der Friedhofskapelle statt. „Manchmal bin ich ganz alleine bei der Beerdigung. Das ist dann schon ein komisches Gefühl“, sagt Pfarrer Harth. Doch ihm sei es wichtig, die Zeremonie würdevoll zu gestalten, auch wenn keine Trauernden dabei sind. Anhand der Porzellan-Figuren, Stofftiere und Kerzen, die an der Föten-Grabstelle in Püttlingen stehen, lasse sich ablesen, dass manche der Eltern lieber im Stillen und alleine nach der Beerdigung ihrer Trauer Ausdruck verleihen wollen anstatt in einer größeren Gruppe.

Noch vor nicht allzu langer Zeit entsorgten Krankenhäuser die Föten nach Fehlgeburten im organischen Müll und die Kinder verschwanden in der Anonymität. „Wir machen unsere Patientinnen direkt nach der Ausschabung auf die Möglichkeit der Bestattung aufmerksam und versuchen, der Trauer in unserer Klinik Raum zu lassen“, erklärt Krankenhausseelsorgerin Thielen. Etwa durch die schützende Atmosphäre eines Einzelzimmers. Für manche Eltern sei es auch wichtig, das tot geborene Kind beim Standesamt bescheinigen zu lassen. Der Deutsche Bundestag habe das Personenstandsrecht mit Zustimmung des Bundesrates diesbezüglich Anfang 2013 geändert. „Eltern von tot geborenen Kindern können diese auch rückwirkend und unabhängig vom Geburtsgewicht der Kinder standesamtlich eintragen lassen. Aber die wenigsten Eltern wissen das“, erklärt Thielen.

 Krankenhausseelsorgerin Petra Thielen aus Püttlingen.

Krankenhausseelsorgerin Petra Thielen aus Püttlingen.

Foto: Thielen

Nathalie hat das noch nicht gemacht. „Vielleicht später einmal“, sagt sie. Im Moment hilft es ihr mehr, einmal im Monat das Grab ihres Kindes in Püttlingen zu besuchen und eine Kerze anzuzünden – für ihre Tochter, die Emma heißen sollte.

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