Eine unsichtbare Grenze

Leidingen · Knapp 18 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs schlossen Adenauer und de Gaulle in Paris 1963 den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag. Die Schlagbäume zwischen beiden Ländern wurden erst 30 Jahre nach dem Élysée-Vertrag abgebaut. In einer Serie schaut sich die SZ an ehemaligen Grenzstationen zwischen Saarland und Lothringen um. Was hat sich dort nach 20 Jahren ohne Kontrollen verändert? Erster Teil: Leidingen.

 Eine alte Postkarte zeigt Ansichten aus dem Grenzort Leidingen. Fotos: Wolfgang Schmitt/SZ

Eine alte Postkarte zeigt Ansichten aus dem Grenzort Leidingen. Fotos: Wolfgang Schmitt/SZ

 Eine Straße – zwei Nationalitäten: Die neutrale Straße, beziehungsweise Rue de la Frontière, liegt genau auf der Grenze.

Eine Straße – zwei Nationalitäten: Die neutrale Straße, beziehungsweise Rue de la Frontière, liegt genau auf der Grenze.

Wer durch Leidingen fährt, fährt zwischen zwei Ländern - schon eine komische Situation. Sogar das Navigationsgerät hat damit seine Schwierigkeiten. Ob man gerade auf der neutralen Straße oder der Rue de la frontière fährt, das weiß es nicht genau. Auf der Ostseite Deutschland, auf der Westseite Frankreich. Das ist einzigartig im Saarland. Um das zu beobachten, kämen Leute von weit her, erzählt ein Anwohner. Vor Kurzem habe er einen Bus hier gesehen, aus dem Zollbeamte aus Asien ausgestiegen seien, um sich diese Merkwürdigkeit anzusehen.

Mit dem Wiener Kongress 1815 kam die Grenze zwischen Leiding und Leidingen. Seitdem wechselten die Anwohner mehrmals Staatsangehörigkeit und Währung. Bis zum Inkrafttreten des Schengener Abkommens Anfang 1993 patrouillierten die deutschen Zollbeamten entlang der Grenze durch Leidingen. Wie heute noch Franzosen aus Leiding bei der Dillinger Hütte arbeiten, überquerten die Anwohner damals auch täglich die Grenze, um in den Gruben auf deutscher Seite zu arbeiten. Schmuggeln im großen Stil habe es aber nicht wirklich gegeben, erzählt Wolfgang Schmitt, der Ortsvorsteher Leidingens, höchstens ab und zu Zigaretten: "Die Gauloises waren auf der anderen Seite billiger". Doch Schmitt erinnert sich ungern an die Zeit der Grenze. Man sei oft schikaniert worden. Umso mehr freut es ihn, dass die Grenze weg ist.

Ohne Grenze gibt es kein Hindernis für ein gemeinsames Dorfleben - könnte man denken. Doch richtig viel miteinander zu tun haben Deutsche und Franzosen in Leidingen nicht. Natürlich gibt es immer wieder Anlässe wie das Grenzlandfest, bei denen alle zueinander finden. Wenn die deutsche Feuerwehr in Leidingen feiert, besuchen auch französische Nachbarn die Veranstaltung. Und auch bei der Infrastruktur habe man in den vergangenen Jahren viel erreicht, erzählt Schmitt. "Mit Bathelemy Lemal, dem Bürgermeister der Gemeinde Heining-lès-Bouzonville, der Leiding angehört, komme ich sehr gut klar", berichtet der Ortsvorsteher weiter. "Wir sind schon lange befreundet und das hilft unheimlich viel, gemeinsame Angelegenheiten sinnvoll zu regeln." Jetzt wird die neutrale Straße einheitlich beleuchtet, die Franzosen bekommen das weniger verkalkte Wasser aus Deutschland und auch die Leidinger Wehr könnte bei einem Brand auf französischer Seite sofort handeln. Die zwei Lokalpolitiker stemmen das schon. Auch weil sie sich verständigen können - und zwar auf Moselfränkisch.

Aber was wird in 20, 30 Jahren? Die zwei französischen Jugendlichen aus Leiding können kein Deutsch und auf Leidinger Seite löst Französisch nicht gerade Begeisterung aus. Moselfränkisch wird bis dahin wohl in Vergessenheit geraten. Das Problem sieht auch Alfred Gulden. Der Schriftsteller und Filmemacher hat sich mit der Geschichte Leidingens unter anderem in seinem prämierten Film "Grenzfall Leidingen" und seinem Roman "Leidinger Hochzeit" auseinander gesetzt. "Die Sprache ist der Schüssel zu einer richtigen Beziehung", sagt er. "Es sollte alles gemacht werden, um das Erlernen zu fördern, denn nur Gespräche und Kommunikation können die richtige Basis für ein erfolgreiches Miteinanderleben bilden", so Gulden. Und genau hier liegt das Paradoxe in Leidingen: Die Grenzkontrolle ist weggefallen, hat aber nun Platz für eine neue Grenze gemacht: die Sprachbarriere.

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