Einblick in die Welt der Mormonen Zum 16. Geburtstag steht das Auto vor der TürAbschied von Caleb und Micah

Amerika zählt zu den Ländern mit der größten Religionsvielfalt der Welt. Zwar gehört ein Großteil der Bevölkerung der römisch-katholischen Kirche an, jedoch gibt es neben dieser auch noch zahlreiche andere Religionen

Amerika zählt zu den Ländern mit der größten Religionsvielfalt der Welt. Zwar gehört ein Großteil der Bevölkerung der römisch-katholischen Kirche an, jedoch gibt es neben dieser auch noch zahlreiche andere Religionen.Meine Gastfamilie zum Beispiel ist Mitglied der "Church of Jesus Christ of Latter-Day-Saints" (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage), die als Mormonen bekannt sind. In den USA ist sie mit 1,7 Prozent der Bevölkerung die drittgrößte Religionsgemeinschaft.

Schon bei meiner Ankunft konnte ich die religiöse Lebenshaltung meiner Gastfamilie deutlich spüren. Überall im Haus sind Bilder von Jesus und dem Propheten, der das Oberhaupt der Mormonenkirche darstellt, zu finden. Vor jedem Essen wird ein Gebet ausgesprochen, sowie jeden Morgen und jeden Abend. Einmal wöchentlich besuchen sie einen dreistündigen Gottesdienst.

Anders als in katholischen Messen, die von einem Pastor geleitet werden, übernimmt hier die Gemeinde die Rolle des Pastors. Jedem Mitglied wird eine Aufgabe zugeordnet, die mehr oder weniger zeitaufwendig ist.

Meine beiden Gasteltern investieren sehr viel Zeit in Kirchenaufgaben und auch meine Gastgeschwister Micah und Caleb müssen nicht selten Reden für den Gottesdienst vorbereiten.

Der Gottesdienst ist in drei Teile unterteilt. Im ersten Teil halten ausgewählte Personen Reden über ihren Glauben, es wird gebetet und es werden Lieder gesungen. Im zweiten Teil wird man nach Altersgruppen unterteilt und über die Bibel, sowie das Buch Mormon, eine Ergänzung zur Bibel, unterrichtet.

Dieses Buch wird im Mormonenglauben noch höher als die Bibel angesehen und ist für die Mormonen das "richtigste Buch auf Erden". Im zweiten Teil des Gottesdienstes werden Jungen und Mädchen unterteilt. In dieser Stunde lernen sie, wie man sich dem Glauben gerecht verhalten und mit anderen Menschen interagieren soll.

Nach der Kirche bleibt fast jeder Besucher noch etwas länger da, um sich mit den anderen Mitgliedern zu unterhalten. Viele Familien haben so in der Kirche ihre Freundesgruppe und treffen sich mit den anderen Kirchenmitgliedern auch außerhalb, um gemeinsam Freizeit zu verbringen.

Die Familie spielt im mormonischen Glauben eine sehr wichtige Rolle und so findet einmal pro Woche ein Familienabend statt. In meiner Gastfamilie unterhalten sie sich dann über bestimmte Glaubensthemen, sagen verschiedene Gebete zusammen auf und singen Kirchenlieder.

Meistens wird der Abend mit Brettspielen abgerundet. Da ich aus einer katholischen Familie komme, waren viele der Regeln, nach denen meine Gastfamilie lebt, ungewohnt und neu für mich.

So darf zum Beispiel niemand Kaffee, Alkohol oder grünen Tee trinken, Kleider und Röcke, die kürzer als das Knie sind, dürfen nicht getragen werden. Auch die Auswahl an Musik, Fernsehsendungen und Filmen ist streng reglementiert.

Da ein Großteil der Sendungen, die im öffentlichen Fernsehen gezeigt werden, laut meiner Gastfamilie nicht "angemessen" ist, verzichten sie ganz auf einen Fernseher.

Meine beiden Gastgeschwister Caleb und Micah besuchen jeden Tag morgens um 5.30 Uhr, bevor die Schule anfängt, einen Religionsunterricht, in dem sie Themen aus der Bibel und dem Buch Mormon behandeln. Außerdem lesen wir jeden Abend mit der ganzen Familie ein Kapitel in der Bibel.

Mein Gastbruder Caleb (16) wird, wie alle 19-jährigen Mormonen, in drei Jahren auf eine Mission geschickt, in der er in einem anderen Land den Mormonenglauben predigen und verkünden soll.

Seine zweijährige Mission muss bis auf einen kleinen Zuschuss selbst finanziert werden, weshalb meine Gastfamilie, die zwei weitere Söhne hat, jetzt schon jeden Monat bestimmte Beträge zur Seite legt. Die Mission findet unter bestimmten Regeln statt.

So darf zum Beispiel bis auf ein Telefonat an Weihnachten kein Kontakt zur Familie bestehen. Die Missionare leben völlig abgeschieden von der Welt; Zeitung, Radio, Fernsehen oder Internet sind ihnen strengstens untersagt.

Da der mormonische Glauben das alltägliche Leben schon sehr beeinflusst, finden Hochzeiten und Beziehungen meist nur unter Mitgliedern statt. Dies wird auch so an die Jugendlichen weitergegeben und sie werden in der Kirche ermutigt, nur mit Jungen bzw. Mädchen, die den gleichen Glauben haben, eine Beziehung einzugehen. Das "Daten" unter 16 Jahren ist den Jugendlichen strengstens untersagt, und auch Keuschheit ist eine moralische Anforderung im mormonischen Glauben.

Nach der Ehe ist man dann an seinen Ehepartner gebunden, und eine Scheidung ist bis auf bestimmte Ausnahmen unmöglich. Manchmal jedoch, wenn zum Beispiel ein Partner in der Ehe unfair behandelt wird, kann die Kirchengemeinde sich entschließen, einer Scheidung zuzustimmen.

Während Mormonen für die Duldung von Polygamie, einer Ehe, bei der ein Mann mehrere Frauen haben kann, bekannt sind, ist vielen Menschen nicht bewusst, dass sich dieser Grundsatz vor 100 Jahren geändert hat und die Mormonen heute gegen die Vielehe sind.Surprise" (Überraschung) riefen 70 Jugendliche, als meine Gastschwester Lauren in die Halle eintrat. Ihre Eltern hatten nicht nur die Halle gemietet und alle ihre Freunde eingeladen, sondern auch ein ganzes Buffet aufgestellt sowie drei DJs angestellt, die den ganzen Abend Musik auflegten. Wozu der ganze Aufwand?

Es war Laurens "Sweet 16", der ja bekanntlich in Amerika groß gefeiert wird. Lauren, die eine Überraschungsparty gar nicht erwartet hatte, schossen die Tränen in den Augen. Die größte Überraschung kam jedoch erst, als ihre Eltern ihr ihr Geburtstagsgeschenk zeigten: ein Auto. Da man die Fahrerlaubnis in Amerika schon mit 16 Jahren erhalten kann, bekommen viele Jugendliche ein Auto zu ihrem 16. Geburtstag. Mit 15 Jahren kann man sogar schon einen "Permit" erhalten, der einem das "begleitete Fahren" erlaubt. Nachdem man einige Fahrstunden hat, erhält man diesen ohne Fahrprüfung.

Kauf und Konsumieren von Alkohol sind erst ab 21 Jahren erlaubt. Verstöße gegen dieses Gesetz werden streng bestraft und Minderjährige, die beim Trinken von alkoholischen Getränken erwischt werden, müssen nach einer Gerichtsverhandlung oft Sozialstunden als Strafe ableisten. Da es als Gesetzesbruch dokumentiert wird, kann sich dies negativ auf die Annahme von verschiedenen Universitäten und später bei der Jobvergabe auswirken.

Sogar Eltern, die ihren Kindern im privaten Rahmen die Einnahme eines alkoholischen Getränkes erlauben, machen sich strafbar. Auch Volljährigen ist es strengstens untersagt, in der Öffentlichkeit zu trinken. So muss das Bier bei Grillabenden am Strand in Papiertüten und anderen Containern versteckt werden. Auf den Partys, wo ich bis jetzt eingeladen war, haben die Jugendlichen keinen Alkohol getrunken. Sie konnten gar nicht glauben, dass der Ausschank von Bier, Wein und Sekt in Deutschland ab 16 Jahren erlaubt ist. Wie die meisten Partys hier endete auch der Geburtstag meiner Gastschwester um 23 Uhr. Da feiern wir in Deutschland doch lieber bis spät in die Nacht hinein.Obwohl meine Gastfamilie sehr herzlich und nett war und sich viel Mühe mit mir gegeben hat, habe ich mich nach fünf Monaten dazu entschieden, die Familie zu wechseln, da unsere Glaubensansichten und Lebensweisen doch zu verschieden waren. Meine Schulfreundin Lauren, deren Familie ich bereits vorher kennen gelernt hatte, hat sich sofort dazu bereit erklärt, mich für die restlichen fünf Monate meines Austauschjahres aufzunehmen.

Meine neue Gastfamilie besteht aus meinen beiden Gastschwestern Lauren (16) und Monica (12), meinen Gasteltern Karen (44) und Dave (48) und unseren beiden Hunden Fluffy und Maggie. Ich wohne nun schon seit drei Monaten bei ihnen und fühle mich sehr wohl. Ein Familienwechsel im Austauschjahr ist etwas ganz Normales und ein Viertel aller Austauschschüler wechselt die Familie. Es ist sehr schwierig für die Organisationen, eine passende Familie zu finden, da sie weder die Austauschschüler noch die Familien wirklich kennen. Trotz meines Wechsels habe ich immer noch ein gutes Verhältnis zu meiner anderen Gastfamilie und gehe sie auch hin und wieder besuchen.

Auch wenn ich mich für einen Wechsel entschieden habe, bin ich froh für die Erfahrung und habe bestimmt einiges gelernt. Ich habe eine mir vorher völlig unbekannte Religion kennen gelernt, was mich offener und toleranter gemacht hat.

Durch meinen Wechsel habe ich die Möglichkeit, einen Einblick in zwei amerikanische Familien zu bekommen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. "Bei den Mormonen müssen Röcke übers Knie gehen.""Die Eltern sparen viel Geld für die Mission der Kinder.""Ich haben die Chance, in zwei US-Familien zu leben."

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