Ein Sommer, der das Bild Neunkirchens neu zeichnete

Neunkirchen. Es war einmal eine Zeit in Neunkirchen, die war voller Abbrüche und Umbrüche. Nichts in der Kreisstadt war noch so, wie es einmal war. Die Verabschiedung von Landrat Günther Schwehm stand bevor, weil sich die Farbenpalette der Parteien verändert hatte. Wo einst der Pinsel gerne in seriöses Schwarz getaucht wurde, wurde jetzt glühendes Rot aufgetragen

 Verzahnt mit dem Eisenwerk: Dass es 1980 so an der Königstraße aussah, wissen junge Neunkircher kaum noch. Foto: hi

Verzahnt mit dem Eisenwerk: Dass es 1980 so an der Königstraße aussah, wissen junge Neunkircher kaum noch. Foto: hi

Neunkirchen. Es war einmal eine Zeit in Neunkirchen, die war voller Abbrüche und Umbrüche. Nichts in der Kreisstadt war noch so, wie es einmal war. Die Verabschiedung von Landrat Günther Schwehm stand bevor, weil sich die Farbenpalette der Parteien verändert hatte. Wo einst der Pinsel gerne in seriöses Schwarz getaucht wurde, wurde jetzt glühendes Rot aufgetragen. Die Genossen suchten einen der Ihren, um ihn zum Landrat zu küren: Den roten Rechtsanwalt Jörg Britz oder den angehenden Doktor der Philosophie, Rudolf Hinsberger. Später entschieden sich die Sozialdemokraten für den Philosophen. Das Porträt des seit zehn Jahren amtierenden Oberbürgermeisters in der Kreisstadt, Peter Hartmann Neuber, damals 48, sollte hingegen mit auffälligem Rot aufgefrischt und restauriert werden. Doch seine Genossen zierten sich, "ihren ungeliebten" Oberbürgermeister für weitere zehn Jahre zu erneuern bzw. seinen Vertrag zu verlängern. Der kantige Preuße, emsige Schaffer, aber unbequeme Mitmensch, machte es den Harmonie bedürftigen Neunkirchern schwer. Mit Hilfe von Schwarz und Grün kam es dann doch zu einer Farbmischung von 38:10 zugunsten der Vertragsverlängerung des OB. Beim großen TuS 1860, der gerade Geburtstag feierte, verabschiedete ein gewisser Jürgen Fried, Abteilungsleiter Handball, den verdienten Tormann der Handballmannschaft, Uwe Schumann in den vorgezogenen Ruhestand. Große Namen aus der beeindruckenden TuS-Vergangenheit im Handball spielten damals das Geburtstagsständchen. Die Sommertage vor 25 Jahren waren geprägt von neuen Farbenspiele und Wechseln. Am Auffälligsten aber waren die Veränderungen im Stadtbild. Von den Bereichen des Eisenwerkes, die in die Innenstadt hineinragten, standen nur noch Ruinen. Die Sprengmeister, Baggerführer und Schweißer verwischten, um im Bild zu bleiben, nach und nach das Gesamtgemälde Neunkircher Innenstadt. Das alte Dampfkraftwerk verlor seine Substanz und war nur noch eine Hülse. Einige Winderhitzer standen, ihrer Stahlmäntel beraubt, in ihren Skeletten aus feuerfesten Steinen nackt in der Szene. Hinter den Hochöfen herrschte gähnende Leere. Bald lag die ehedem so dicht ausgemalte Leinwand Neunkirchen wie eine kahle Fläche vor dem Betrachter. Nur im Vordergrund des Bildes ragten noch die Hochöfen in den nun vom Sinterstaub befreiten Neunkircher Himmel. Wie sich eine große Hand vor einen zum Gähnen geöffneten Mund legt, so spreizte sich die Hochofengruppe vor die leer gewischte Fläche, die einst das Bild einer tobenden Industrieanlage gezeigt hatte. Dieser Sommer 1985 war für die Kreisstadt Neunkirchen eine Zeit der Abbrüche und Umbrüche, der großen Wechsel und der zaghaften Versuche, von der Stadt ein neues Bild zu zeichnen. Lustig ging es damals in Neunkirchen nur beim Stadtfest zu. Das aber hatten die Neunkircher angesichts der schweren Zeiten eh als "Graadseläädsfeschd" getauft.

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