Ein Moment der Verletzlichkeit"Es gibt niemanden, der nicht stehen bleibt"

Sulzbach/Saarbrücken. Man hat den Eindruck, rostfarbene Stahllinien würden aus dem Boden schnellen und in dem Moment stehen bleiben, bevor die Schwerkraft das Material wieder zu Boden befiehlt

 Sigrun Ólafsdóttir in Ihrem Atelier der KuBa-Sonderwerkstatt auf dem Gelände des Saarbrücker Hauptbahnhofs. Hinter ihr an der Wand: eine Version des "Feuersprungs" als Wandskulptur (geschwärztes Holz). Fotos: Anne Allenbach

Sigrun Ólafsdóttir in Ihrem Atelier der KuBa-Sonderwerkstatt auf dem Gelände des Saarbrücker Hauptbahnhofs. Hinter ihr an der Wand: eine Version des "Feuersprungs" als Wandskulptur (geschwärztes Holz). Fotos: Anne Allenbach

Sulzbach/Saarbrücken. Man hat den Eindruck, rostfarbene Stahllinien würden aus dem Boden schnellen und in dem Moment stehen bleiben, bevor die Schwerkraft das Material wieder zu Boden befiehlt. Sigrun Ólafsdóttirs Skulptur "Feuersprung" vor der Aula in Sulzbach steht wegen dieses dynamischen Eindrucks auch nicht auf einem Sockel: "Ich habe kein Fundament gewollt, die Skulptur soll aus dem Boden schießen", erläutert die Künstlerin, die von der Stadt Sulzbach den Auftrag zu diesem Kunstwerk bekam. "Meine Auftraggeber hatten einen engen Geldrahmen und so mussten wir trotzdem etwas Stimmiges finden", sagt Ólafsdóttir, die in ihrem Saarbrücker Atelier KuBa-Sonderwerkstatt auf dem Bahnhofsgelände verschiedene Entwürfe und kleine Versionen des "Feuersprungs" bearbeitet hat. Diese Skulpturskizzen trifft man dort an. Sie füllen die große Atelierhalle neben vielen neuen Ideen.

"Die Skulptur habe ich ja nicht speziell für den Ort angedacht, sie hat aber sehr gut ins Gesamtschema gepasst", sagt sie. Bereits 2005 zeigte Sigrun Ólafsdóttir Versionen des "Feuersprungs" in der Stadtgalerie Saarbrücken. "Damals habe ich diese Skulptur als Wandskulptur ausgestellt, außerdem als schwebende, stehende und liegende Installation. In Sulzbach steht gewissermaßen das Surrogat", erläutert die isländische Künstlerin, die 1990 nach Deutschland kam.

Die Absolventin der Hochschule für Bildende Künste Saar, die bereits zahlreiche Förderpreise und Stipendien erhielt, liebt ihren saarländischen Standort: "Man hat das Gefühl von Nähe hier, die Menschen sind warm und herzlich, das tut auch meiner Arbeit gut", sagt die Bildhauerin, die für Sulzbach das Leitmotiv aus ihrer "Feuersprung"-Serie auch wegen lokaler Gegebenheiten auswählte: "Bei der Urform habe ich etwa an die Themenverwandtschaft mit dem Brennenden Berg gedacht. Wärme, Suchbewegungen des Feuers, Naturphänomene. Außerdem brauchen die fragilen, verletzlichen Formen des ,Feuersprungs' einen Dialog. Und den finden sie im Gebäudekomplex der Aula", erläutert sie.

"Objekte müssen nicht immer laut schreien. Nicht nur laute Töne haben recht", sagt Ólafsdóttir und lächelt. "Der ,Feuersprung' sucht Gleichgewicht, er zeigt, dass es nur wenig braucht, bis etwas zerbricht. Es ist ein Moment der Verletzlichkeit", fügt sie hinzu. Tatsächlich erschließt sich der Eindruck nach längerem Betrachten. Doch was, wenn ein Betrachter einen anderen Eindruck gewinnt? "Jeder kann mit Kunst etwas anfangen", sagt die Künstlerin aufmunternd, "auch jeder Schriftsteller freut sich, wenn ein Leser seinen Text mal auf andere Weise versteht, als angedacht." Sulzbach. Viel wurde geredet über das Thema Geld für die "Feuersprung"-Plastik vor der Aula. Einigen Leuten im Stadtrat ging es dabei weniger um das Kunstwerk an sich, als vielmehr um die Frage des Bezahlens in finanziell mageren Zeiten. Im Oktober 2009 wurde die filigrane Skulptur aufgestellt und bringt trotz Diskussionen offenbar ein Stück Weltkultur ins Sulzbachtal, wie man von einigen Leuten hört.

Erwin Mohns, Polizeihauptkommissar und stellvertretender Dienststellenleiter in Sulzbach, hat den "Feuersprung" täglich vor Augen. Die Korridorfenster der Inspektion geben freien Blick aufs Aula-Gelände: "Natürlich gab es kritische Stimmen, lebhafte Diskussionen um den ,Feuersprung', aber es gibt niemanden, der nicht stehen bleibt und es ansieht", berichtet Mohns. Auch Werner Pietsch, Erster Polizeihauptkommissar und Leiter der Inspektion, ist täglich mit dem Kunstwerk im öffentlichen Raum konfrontiert: "Zu allererst: Ich nehme Kunst wahr", äußert Pietsch, der sich als Kunstfreund und Museumsbesucher entpuppt: "Jedes Museum ist mein Terrain." Sein Dienstzimmer verrät es: Kunstdrucke von van Gogh, Chagall und ein Gemälde aus dem Besitz der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz hängen an den Wänden. Zum "Feuersprung" hat man sich auch schon Gedanken gemacht: "Wenn man den Namen hört und das in Verbindung mit Sulzbach sieht, gibt das Kunstwerk einen Sinn", sagt Pietsch. Der 57-Jährige fügt an: "Feuer, Verbrennung, Glashütte, Hochofen. Ich denke in der Verbindung von moderner Kunst und Sulzbacher Historie entstehen solche dynamischen Formen aus Stahl."

Für Daniela Scherer, die im katholischen Kindergarten Sulzbach eine Ausbildung zur Erzieherin absolviert, ist die schlichte Skulptur zunächst schwierig zu verstehen: "Man sieht sie da oben vor der Aula kaum; wenn man vorbeifährt gar nicht", so die 21-Jährige, die das Werk von ihrem Weg in den Kindergarten kennt. "Der ,Feuersprung' sieht von weitem aus wie ein Baum, man erkennt ihn nicht, vor allem im Herbst und Winter." Der Standort sei überdies schlecht gewählt, zu weit entlegen vom Publikumsverkehr und zu klein. Auch Polizeihauptkommissar Mohns meint: "Eine größere Dimension der Skulptur wäre besser gewesen. Dann könnte sie sich gegen den Gebäudekomplex besser behaupten." "Man kann immer über Kunst diskutieren", fügt Werner Pietsch an und lenkt damit das Augenmerk einmal mehr nicht aufs Geld, sondern auf künstlerische Kreativität. ane

 ErwinMohns

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 WernerPietsch

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 DanielaScherer

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