Familie hofft auf Begleitperson für den Notfall Ein Junge in den Mühlen der Bürokratie

Püttlingen · Markus ist Hochallergiker. Ohne Begleitung, die ihm im Notfall die Arznei gibt, kann er nicht den Schulbus nehmen.

 Markus hat immer eine Tasche mit Medikamenten bei sich.

Markus hat immer eine Tasche mit Medikamenten bei sich.

Foto: dpa/Jens Kalaene

Ob Birken- oder Gräserpollen, Früh- und Spätblütler, ob Eier, Kiwi, alle Nüsse und Mandeln, ob Sojaeiweiß, Hausstaubmilben, Tierhaare oder Wespengift – kommt der sechsjährige Markus (Name geändert) mit diesen Substanzen in Kontakt, kann dies für ihn lebensbedrohlich werden. So steht es im Gutachten des Gesundheitsamts des Regionalverbands. Neben starkem Asthma reagiert er mit schwerer Nesselsucht, Zunge, Lippen oder gar der Kehlkopf schwellen zu. Daher hat Markus immer eine Tasche mit Medikamenten bei sich. „Diese müssen sofort von einer Begleitperson verabreicht werden. Aus medizinischer Sicht ist der Transport in der Schule mit einer entsprechend instruierten Begleitperson zu befürworten“, heißt es weiter.

Wann und wie Tropfen, Spray und Spritze zu verabreichen sind, hatte der Kinderarzt den Erzieherinnen in der Kita erklärt. Dort hatte Markus auch auf Stundenbasis eine Integrations- und Pflegekraft. Doch seit diesem Schuljahr besucht Markus die Sprachförderschule in Sulzbach – und die Familie musste die Hilfe neu beantragen. Weil bis heute der Antrag auf die dringend benötigte Begleitperson vom Landesamt für Soziales nicht bewilligt worden sei, könne Markus nicht mit den anderen Kindern mit dem Schulbus von Püttlingen nach Sulzbach fahren, erzählen seine Eltern der SZ. Ohne medizinische Begleitperson nehme ihn das Busunternehmen nicht mit, denn aus rechtlichen Gründen dürfe der Fahrer keine Arznei geben.

Damit ihr Sohn überhaupt zur Schule kommt, fährt seine Mutter vier mal am Tag die zirka 20 Kilometer lange Strecke. Ist sie krank oder muss ihre Tochter zu einem Termin gefahren werden, könne Markus nicht zur Schule. Zum Unterricht könne ihr Sohn derzeit nur, weil eine Lehrerin sich bereit erklärt hat, im Notfall die Medikamente zu geben. „Das macht die Lehrerin allerdings auf eigenes Risiko, und es kann daher keine Dauerlösung sein. Sie muss auf alle Schüler achten und kann gerade auf dem Spielplatz oder bei Spaziergängen im Wald ihre Augen nicht die ganze Zeit bei Markus haben“, sagt Sabine W.

Bereits im Juli, also vor Schulbeginn, stellt die Familie daher persönlich beim Landesamt Anträge auf eine Integrationskraft sowohl im Bus als auch für den Unterricht. Doch nichts passiert. Als es mehrere Wochen später heißt, es seien keine Unterlagen eingegangen, reicht die Familie den Antrag mit den geforderten Gutachten und ärztlichen Befunden am 1. August erneut ein.

Am 22. September dann die Antwort des Landesamts: Die Eingliederungshilfe wird gewährt – allerdings nur für die Schule und vorerst nur bis Ende des Monats. Aber die Integrationshelferin darf keine Medikamente verabreichen, erfahren die Eltern von der Lebenshilfe. Die Tatsache, dass die Hilfe zudem nur befristet bewilligt wurde, stößt bei den Eltern auf Unverständnis: „Markus wird doch nicht plötzlich gesund“, sagen sie. Markus hat das Kleenfelder-Syndrom, einen Chromosomenfehler, ist zu 50 Prozent schwerbehindert. Da die Familie eine dauerhafte Lösung will, die neben der medizinischen Versorgung auch die Fahrt mit dem Schulbus umfasst, lässt sie das Angebot, befristet eine Integrationshelferin zu bekommen, verstreichen.

„Wir waren gutgläubig und dachten, es klärt sich bald“, sagt Familie W. Es vergehen Wochen mit Telefonaten, E-Mails, Nachfragen. „Uns hilft wirklich keiner. Ich werde überall nur vertröstet“, sagt Sabine W. Gerne würde die Mutter wieder arbeiten gehen, doch solange sie die Fahrdienste übernehmen muss, sei dies unmöglich. Die ganze Situation sei auch psychisch sehr belastend.

Die SZ fragt beim für das Landesamt für Soziales zuständigen Sozialministerium nach. „Trotz Bewilligung haben die Eltern den schulischen Integrationshelfer nicht bestellt“, teilt dieses mit. Doch dazu, dass das vorgeschlagene Angebot offen lässt, wer im Notfall die Medikamente gibt, sagt das Ministerium nichts.

Doch infolge der SZ-Anfrage meldet sich die Lebenshilfe erneut bei Familie W.: Ab 8. Januar gebe es in der Schule eine Integrationshelferin für Markus. Dieses Mal stimmt die Familie zu, auch wenn die Integrationshelferin Markus keine Medikamente geben darf. „Sie wird Markus beobachten, die Medikamententasche beaufsichtigen und, falls er allergisch reagiert, der Lehrerin Bescheid geben“, sagt die Mutter.

Das bestätigt auch die Geschäftsführerin der Lebenshilfe Sulzbach-Fischbachtal, Angelika Schallenberg: „Die Integrationshelfer sind zu 95 Prozent ungelernte Kräfte und haben keine pädagogische oder gesundheitspflegerische Ausbildung.“ Die Lebenshilfe wie auch die anderen Träger muteten es daher diesen Mitarbeitern nicht zu, über die Vergabe von Medikamenten zu entscheiden. Werde die Arznei falsch gegeben, hafte die Einrichtung. Zudem sei vom Landesamt lediglich eine Nicht-Fachkraft genehmigt worden, Fachkräfte kosteten jedoch mehr. Diese Fachkraft müsse von der Familie beim Kostenträger beantragt werden. Sabine W. kann über die Bürokratie nur den Kopf schütteln. Dass ihr Sohn eine solche Fachkraft braucht, zeigten doch die Gutachten.

Auch das Problem mit der Busfahrt bleibt ungelöst. Hierzu teilt das Ministerium mit, dass noch eine gerichtliche Entscheidung ausstehe, wer die Kosten für die Begleitperson während des Schulwegs zahlen muss: Das Landesamt für Soziales oder die Landkreise und der Regionalverband. Im Oktober sei jedoch vereinbart worden, dass das Landesamt bis zum Urteil die Kosten vorstreckt und gegebenenfalls von der kommunalen Seite zurückfordern kann. Das Landesamt habe nun die Eltern aufgefordert, ausführlich zu begründen, warum Markus eine Schulwegbegleitung braucht. Unverständnis bei Sabine W.: „Ich habe die nötigen Unterlagen bereits zwei Mal eingereicht. Dem Landesamt liegt doch alles vor. Aber ich werde es auch noch ein drittes Mal einreichen.“

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