Ein Gottesdienst für Ausgeschlafene

Die evangelische Kirchengemeinde Altenwald-Neuweiler feiert am kommenden Sonntag, 9. Juni, in Neuweiler den üblichen Sonntagsgottesdienst erstmals um 15 Uhr statt um 10 Uhr. Redakteurin Michèle Hartmann sprach mit Pfarrer Rolf Kiwitt, der die Langschläfer zu sich in die Kirche bittet.

 Pfarrer Rolf Kiwitt ist auch Notfallseelsorger. Archiv-Foto: Iris Maurer

Pfarrer Rolf Kiwitt ist auch Notfallseelsorger. Archiv-Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

Herr Pfarrer Kiwitt, sind Ihre Gläubigen die Ausgeschlafensten im ganzen Land? Oder geht bei Ihren Schäfchen vor 15 Uhr nicht mehr so viel?

Kiwitt: Der Sonntagmorgen ist für viele Familien mit einem gemeinsamen späten Frühstück verbunden. Die Geschäfte sind geschlossen, Arbeiten am Haus oder im Garten werden gescheut, da bleibt der Sonntagmorgen für die Familie. So kamen wir auf den Gedanken, diesen Menschen einen Gottesdienst mit anschließendem gemeinsamen Kaffee (und Kuchen) anzubieten. In Altenwald wird diese Form des Gottesdienstes gerne angenommen. Daraus entstand der Wunsch, das auch in Neuweiler zu versuchen - und am Sonntag ist es soweit. Um 15 Uhr beginnen wir mit dem Gottesdienst in der Kirche und anschließend geht es mit Kaffee und Kuchen in der Kirche weiter.

Wieviele Protestanten können sie denn jedes Wochenende, auch bei den Gottesdiensten um 10 Uhr, im Durchschnitt in ihrer Gemeinde begrüßen?

Kiwitt: Rund 60 Besucherinnen und Besucher versammeln sich an normalen Wochenenden zum Gottesdienst, etwa 25 davon entfallen auf den Gemeindeteil Altenwald (mit Hühnerfeld), etwa 35 davon auf Neuweiler. In den Sommermonaten, wenn in den Gottesdiensten Kinder getauft werden, steigt die Zahl der Besucherinnen und Besucher natürlich.

Sind wir, wenn wir schon für Gott und unser Seelenheil nicht mehr frühzeitig aufstehen, auf dem Weg in eine rein weltliche, oder vielleicht auch nihilistische Gesellschaft - auch angesichts zusammenschrumpfender Kirchengemeinden?

Kiwitt: Nein! Die Suche nach geistlichem Leben und geistlicher Erfüllung hat sich verlagert. In unserer Gesellschaft wird das Heil für die Seele nicht mehr allein in der Kirche gesucht, sondern auch in vielen Bereichen des Lebens außerhalb der Kirche. Nehmen wir ein Beispiel: Wer geistliche Erfüllung in einem Sonnenaufgang auf einem Berggipfel sucht, der muss noch früher aufstehen, als es für den Gottesdienst um 10 Uhr hätte sein müssen. Die Frage, die sich der moderne Mensch von heute stellt ist: Was bin ich bereit, dafür zu investieren, geistliche Erfüllung zu erreichen? Die Angebote sind so vielfältig, dass ich mich in Ruhe umschauen und das für mich Passende auswählen kann.

Wie gestaltet man eigentlich einen Gottesdienst, der die Gläubigen auch frühmorgens zu fesseln vermag?

Kiwitt: Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich denke nicht, dass es am Inhalt der Predigt, an der Auswahl der Lieder, am Blumenschmuck oder an der Form und Farbe der Kirche liegt. Ich denke, dass das Gefühl der Gemeinschaft unter den Besucherinnen und Besuchern eine große Rolle spielt. Wenn ich mich als ,,Fremdkörper" in einem Gottesdienst wahrnehme, werde ich sicher nicht heimisch. Wenn ich freundlich aufgenommen werde - ohne zu sehr bedrängt und ohne zu sehr ignoriert zu werden - dann werde ich vermutlich meinen Platz in der gottesdienstlichen Gemeinde finden. Die anderen Elemente wie Farbe, Form, Lieder, Blumen, Predigt oder Stimme des Predigenden erleichtern oder erschweren mir den Zugang, doch das Tragende scheint mir die Gemeinschaft.

Wagen Sie doch bitteschön mal eine Prognose, wie der Gottesdienst in ihrer Gemeinde im Jahr 2050 aussehen wird.

Kiwitt: Die Frage ist sehr schwer zu beantworten. Ich schaue mir die Bevölkerungszahlen für das Saarland an, ich schaue sie für Sulzbach an, nehme dann noch den rasanten Wandel in der Gesellschaft wahr und weiß es nicht. Entweder werden die Kirchen wieder brechend voll sein, weil wir Wenigen enger zusammenrücken, oder wir werden uns in den Wohnzimmern hin und her treffen, weil die paar Eingeschworenen keine Gebäude mehr unterhalten können. Das Arbeitsfeld der Kirche(n) wird sich vom Gottesdienst weg hin zur praktischen Lebensbegleitung verlagern. Die Seelsorge - heute teilweise unter einem Wust von Verwaltung erstickt - wird viel mehr Gewicht bekommen. Die Begleitung in Krisen (Krise ist eine grundlegende Veränderung der Lebensumstände, von Geburt bis Beerdigung) wird stärker in den Blick kommen. Wir merken das in so Bereichen wie der Notfallseelsorge.

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