Ein gesäubertes klinisches Stadtbild?

Saarbrücken. Alles nicht so schlimm. Die "Richtlinie zur Gestaltung der gewerblichen Aktivitäten im öffentlichen Raum", die den Gastronomen unter anderem Farbe und Material von Außenmobiliar und Schirmen vorschreiben soll, werde den Saarbrücker Wirten nutzen, nicht schaden

Saarbrücken. Alles nicht so schlimm. Die "Richtlinie zur Gestaltung der gewerblichen Aktivitäten im öffentlichen Raum", die den Gastronomen unter anderem Farbe und Material von Außenmobiliar und Schirmen vorschreiben soll, werde den Saarbrücker Wirten nutzen, nicht schaden. Das versicherten Baudezernentin Rena Wandel-Hoefer, Stadtplanungsamtsleiterin Monika Kunz und Ordnungsamtsleiterin Sigrid Schneider den Wirten bei einem Gespräch.Es gehe nicht darum, Wirten unnötige Vorschriften zu machen, versicherte Wandel-Hoefer, aber die Stadt könne "nicht zuschauen, wie sich alles ungeordnet in die falsche Richtung entwickelt". Am St. Johanner Markt seien zum Beispiel 70 bis 80 Prozent der Gastronomiemöblierung in Ordnung. Wenn ein "Mehrwert für alle" entstehen solle, müsse man aber gleiche Regeln für alle einführen.Blaue Plastikstühle und rote Sonnenschirme zum Beispiel sollen nach diesen Regeln nicht mehr möglich sein. Solche "knalligen Farben" sind der Baudezernentin zu dominant. "Farben müssen harmonieren", sagt sie. Das müsse unter den Beteiligten abgesprochen werden, womöglich in einem "Gestaltungsbeirat", in dem Wirte, Händler und Vertreter der Stadtverwaltung sitzen könnten. Eine Gestaltungsrichtlinie sei nichts Neues, sagten Wandel-Hoefer und Kunz. Sie wiesen auf ähnliche Richtlinien in Nürnberg und Stuttgart hin, zeigten Bilder der dortigen Innenstädte mit hellen Sonnenschirmen und braunen Möbeln. In dieses Bild passen nach Ansicht der Stadtverwaltung auch keine so genannten Heizpilze. Die Heizpilze seien "aus ästhetischen und ökologischen Gründen" nicht gut.Das sehen viele Wirte anders. Heizpilze kosten Geld, aber ohne Heizpilze, die besonders für Raucher wichtige Außengastronomie auch bei schlechterem Wetter erlauben, komme zu wenig Geld in die Kasse, erklärte Sankt-J.-Geschäftsführer Jochen Gräser. Die Stadt solle erstmal ihre Hausaufgaben machen, sich ums schlechte Pflaster auf dem Markt und die so genannten Randständigen dort kümmern, bevor sie von Wirten Investitionen in neue Möbel und Schirme fordere, argumentierten mehrere Wirte. Dass es einen Bestandsschutz geben soll, sie also ihre Schirme und Stühle erst austauschen müssen, wenn sie eh neue anschaffen müssen, beruhigte die Gemüter zwar etwas. Aber dennoch bleiben grundsätzliche Bedenken."Mich stört, dass sich die Stadt eine Ästhetik-Hoheit anmaßt", sagte ein Gastronom. Die Außenbestuhlung spiegle den Stil des Lokals wieder. Wenn nur noch helle und edle Möbel aufgestellt werden, schrecke das eine Klientel ab, die zum Markt gehöre. "Ein gesäubertes klinisches Stadtbild schreckt bestimmte Leute ab, die einfach dazugehören", sagte ein Wirt. Eine Bierkneipe locke ihre Kunden mit anderem Ambiente als ein Restaurant. Und auch die Stilrichtungen der Restaurants müssten von außen erkennbar sein. Es gab aber nicht nur Kritik. Die Wirte zahlen zwar dafür, dass sie den öffentlichen Raum nutzen, aber es sei eben immer noch ein Raum, der allen Bürgern gehört, gab ein Wirt zu bedenken. Die Stadt gehe den richtigen Weg, denn es könne "niemand etwas dagegen haben, wenn man das Niveau hebt". Leonardo-Wirt Hans Peter Schwarz meinte, es sei gut, dass die Stadt etwas vorgelegt habe, worüber man nun diskutieren könne. ols Meinung

Pause für die Amts-Ästhetik

Von SZ-RedakteurMartin Rolshausen Weiße Sonnenschirme und braune Stühle in Stuttgart. Weiße Sonnenschirme und braune Stühle in Ulm. Weiße Sonnenschirme und braune Stühle in Nürnberg. Die Bilder, die Baudezernentin und die Leiterin ihres Stadtplanungsamts Saarbrücker Wirten gezeigt haben, hatten zwei Botschaften. Botschaft eins: Seht, staunt und erkennt: Hell und Holz sind schön, durchgestylte Innenstädte sind vorbildlich. Botschaft zwei: Wenn alle an einem Strang ziehen, schaffen wir das auch; also lasst uns keine Zeit verlieren.Also los? Nein, kurze Denkpause. In der Innenstadt ist einiges zu tun. Aber heißt das, dass wir die Saarbrücker Innenstadt nach der gerade gängigen Stadtplaner-Ästhetik umkrempeln müssen? Dürfen wir nur noch darüber diskutieren, wie Wirte günstig an die hellen Schirme und die braunen Stühle rankommen? Bevor wir Schritt zwei gehen, sollten wir genau überlegen, was wir wollen. Wir sollten eine offene und engagierte Diskussion darüber führen, was wir ästhetisch finden. Am Ende dieser Diskussion kann stehen, dass wir dem Stuttgarter, Ulmer, Nürnberger oder Tupfenhausener Modell folgen. Am Ende der Diskussion muss es aber auch möglich sein, eine bunte Innenstadt zu haben. Oder ganz unterschiedliche Konzepte (etwa am Markt, im Nauwieser Viertel oder auf der Berliner Promenade) umzusetzen. Der Stadtrat sollte die Amts-Oberästhetinnen also erstmal stoppen.

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