Ein fast vergessener Stadtteil von St. WendelDer wohnt in "Brääde"

Im Jahre 1211 verzichteten Arnould und Conrad de Breiden zusammen mit ihren Ehefrauen und weiteren Miterben zugunsten der Abtei Tholay auf ein Feld, genannt Bernhersfurth zu Bliesen. Diese dürre Notiz in französischer Sprache stammt aus einem 1770 angelegten Urkundenverzeichnis der Abtei Tholey, welches sich heute im Bayerischen Hauptstaatsarchiv befindet

Im Jahre 1211 verzichteten Arnould und Conrad de Breiden zusammen mit ihren Ehefrauen und weiteren Miterben zugunsten der Abtei Tholay auf ein Feld, genannt Bernhersfurth zu Bliesen. Diese dürre Notiz in französischer Sprache stammt aus einem 1770 angelegten Urkundenverzeichnis der Abtei Tholey, welches sich heute im Bayerischen Hauptstaatsarchiv befindet. Dieses Tholeyer Verzeichnis wurde durch den Historiker Johannes Naumann bearbeitet und 2004 veröffentlicht. Bisher galt das Jahr 1304 als Zeitpunkt der Erstnennung des Ortes Breiten. Im Oktober des genannten Jahres wurde im Kloster Tholey ein Streit um den Besitz der Mühle zu Breiten (Breyteyn) zwischen dem Ritter Thilmann Hudestoch vom Schaumberg und der St. Wendeler Pfarrei zugunsten letzterer entschieden. Diese Urkunde aus dem Pfarrarchiv St. Wendelin enthält auch die Ersterwähnungen der Ortschaften Alsfassen und Baltersweiler. Die Mühle lag in der Aue am rechten Bliesufer am östlichen Rand von Breiten und gehörte in den folgenden Jahrhunderten immer der Pfarrei St. Wendelin. Um 1750 wurde am linken Bliesufer gegenüber ein Neubau errichtet, weshalb das Bauwerk bis heute Neumühle heißt.Aus Urkunden des Spätmittelalters, die im Archiv der Pfarrei aufbewahrt werden, sind die Namen weiterer Einwohner von Breiten überliefert: 1417 Hans von Breiten, 1435 der Schöffe Ulrich von Breiten und 1441 Heincze von Breiten, der damals das Amt eines Schultheißen am Grundgericht ausübte.

Hinweise auf Ursprung

Zweifellos ist die Ortschaft Breiten älter als 800 Jahre. Die Namensforschung leitet Breiten aus der althochdeutschen Bezeichnung "brait" oder aus dem mittelhochdeutschen Wort "gibraita" oder "gebreite" ab, was auf eine Ackerfläche, ein Gewann oder ein Wiesenstück hinweist. Der Flurname Eggenbreit im Bereich des heutigen Freizeitgeländes deutet noch auf diesen Sprachgebrauch hin.

Nach der Vermutung von Professor Wolfgang Haubrichs aus Saarbrücken geht der Ursprung der Ortschaft Breiten auf einen Herrenhof (Meierhof, Fronhof) mit umliegenden abgabe- und fronpflichtigen Bauernstellen zurück, der etwa im zehnten Jahrhundert gegründet wurde, um die kleine Wehranlage der Grafen von Blieskastel, eine sogenannte Motte, und ihre Besatzung mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Die Motte schützte vor allem den Kirchenort Basonevillare, das spätere St. Wendel, und die Ortschaften Alsfassen, Breiten und Niederweiler. Breiten selbst erstreckte sich über ein Areal, das von einem Teilstück der heutigen St. Annenstraße im Osten (Haus Hillen bis Haus Kreutz), der Dechant-Gomm-Straße im Norden, dem Unternehmen Blatt-Automobile im Süden und einem Teil der der Bungertstraße im Westen eingegrenzt wurde. Den Kern bildeten die heutige Breitener Straße und der Bereich Am Brunnen. Das flache Wiesengelände im südlichen Vorfeld Breitens - dort steht heute das Hochhaus - wurde Liebwiese genannt, lag in Sichtweite des unteren Stadttores und gehörte schon in den Bereich der alten Stadt.

Anschluss an die Stadt

Seit der Stadterhebung des alten Dorfes auf dem Kirchhügel, das schon 1180 den Namen St. Wendel führte, gerieten Alsfassen und Breiten ins wirtschaftliche Hintertreffen. Im Dreißigjährigen Krieg, 1643, erlosch Niederweiler. Alsfassen und Breiten wurden stark zerstört, erholten sich aber wieder. Als 1857 eine Aufteilung der alten Gemarkung drohte, beantragten Alsfassen und Breiten ihren Zusammenschluss mit St. Wendel, der zwei Jahre später vollzogen wurde. Obwohl die Alsfasser und Breitener 1859 St. Wendeler geworden waren, führten sie für weitere hundert Jahre ein gewisses Eigenleben, das sich vor allem im Vereinsleben ausdrückte, wo Theaterverein, Gesangverein, Feuerwehr und andere durch den Zusatz "Alsfassen-Breiten" gegenüber den Städtern ihre Eigenheit und ihren Zusammenhalt betonten. 1929 wurden die beiden Stadtteile zum Kern einer neuen Pfarrei ausersehen, die den Namen St. Anna erhielt.

Der Name Alsfassen hat sich bis heute im Sprachgebrauch erhalten, während die Bezeichnung Breiten mehr und mehr verschwindet und nur noch Alteingesessenen vertraut ist.

Mittlerweile hat die Ausbreitung der Kernstadt nach Westen hin die alten Siedlungskerne überlagert. Ganz neue Wohnviertel sind entstanden. Dennoch wäre es schön, wenn sich im Bewusstsein der Bewohner das Wissen um die Ursprünge und das Gewordene erhalten würde.

Gerd Schmitt

Herr Schmitt, welche heutigen Straßen gehörten früher zu Breiten?

Gerd Schmitt: Ein Teil der St. Annenstraße, vom Haus Hillen bis kurz vor die Malerwerkstatt Kreutz, die Breitener Straße bis zur Einmündung des Bläsenrech, die Bungertstraße bis zum Haus Eckert, der vordere Teil der Pitschwiese, die Straße ,Am Brunnen' und das so genannte ,Päädche", die Verbindung zwischen dem Brunnen und der Breitener Straße.

Was wird heute zu Breiten gezählt?

Schmitt: Der Begriff ,Breiten' ist nur noch in den Köpfen der älteren Menschen am Ort und im benachbarten Alsfassen präsent. Diese verbinden mit dem Begriff die im oben genannten Straßennetz liegenden Häuser. Für mich ist Breiten eine ganz klare Örtlichkeit. Der Name wird auch von den Alteingesessenen noch gebraucht. ,Der wohnt en Brääde' lokalisiert diese Wohnbereiche.

Sind die Bewohner der Bungertstraße oder des Hochhauses sozusagen ,Neu-Breitener'?

Schmitt: Alsfassen und Breiten sind 1859 in die Stadt eingemeindet worden. Von ,Neu-Breiternern' kann man in diesem Bereich nicht sprechen. Das Hochhaus gehört zum Bereich der alten Stadt St. Wendel. Wirkliche Breitener sind nur die, die in dem alten Breiten wohnen.

Wieviele Einwohner hatte Breiten?

Schmitt: 1506 sind nur sechs steuerpflichtige Haushaltsvorstände in einer Liste aufgeführt. 1563 besteht Breiten aus acht bewohnten Häusern. Anfang des 17. Jahrhunderts waren es wohl zwölf Feuerstätten. Die Bewohner sind von Leibeigenschaft frei. Grund und Boden der Häuser gehören dem Kurfürsten, der Kirche oder anderen Grundherrschaften. 1643, in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, sind in Breiten drei Feuerstätten genannt, in Alsfassen sogar nur eine einzige. Um 1700 haben sich die Ortschaften wieder erholt. In Alsfassen und Breiten lebten 36 Haushaltsvorstände, die sich 1704 eine Gemeindeordnung geben. Wieviel Einwohner Breiten heute hat ist mir nicht bekannt.

Wie sieht Breiten heute aus? Gibt es noch ein Eigenleben?

Schmitt: Breiten ist heute ein eng bebautes Wohngebiet mit überwiegend altem Baubestand, der öfter umgestaltet wurde. Es ist ein reines Wohngebiet. Ein Eigenleben in kultureller Hinsicht existiert nicht.

Es gibt die Bezeichnung ,St. Wendel-West'. Wie kann er definiert werden?

Schmitt: St. Wendel-West bezieht sich auf den Teil der Kernstadt westlich der Bahnlinie. Er umfasst Alsfassen, das Wohngebiet im Gründchen, Breiten, die Zollhäuser, die Fausenmühle und den Tholeyer Berg. Der Begriff kam meines Wissens in der nationalsozialistischen Zeit auf. Er hat mit dem eigentlichen Alsfassen und Breiten nichts zu tun.

Was kann man tun, damit Bürger nicht immer wieder behaupten, in Alsfassen zu wohnen, obwohl sie in Breiten daheim sind?

Schmitt: Tun kann man so gut wie nichts, wenn die Menschen auf Richtigstellungen und Hinweise nicht reagieren wollen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort