Ein Bissen Nächstenliebe

Freyming. Fünf Konservenbüchsen mit Gemüse, Erbsen und Bohnen packt Isabelle (Name geändert) in Plastiktüten. Neben ihr steht Serge Schutz und trägt für jedes Lebensmittel ein Kreuz auf einem rosafarbenen Bogen ein. Eine kleine Konserve zählt einen, eine große zwei Punkte

 Gabriele Eckert (rechts) im "Resto du Coeur" in Freyming-Merlebach. Foto: Maria Wimmer

Gabriele Eckert (rechts) im "Resto du Coeur" in Freyming-Merlebach. Foto: Maria Wimmer

Freyming. Fünf Konservenbüchsen mit Gemüse, Erbsen und Bohnen packt Isabelle (Name geändert) in Plastiktüten. Neben ihr steht Serge Schutz und trägt für jedes Lebensmittel ein Kreuz auf einem rosafarbenen Bogen ein. Eine kleine Konserve zählt einen, eine große zwei Punkte. Insgesamt darf eine Person acht Punkte pro Woche und pro Lebensmittelart wie Fisch und Fleisch, Gemüse und Nudeln oder Milchprodukte verbrauchen.

Es ist der erste Tag der so genannten Winterkampagne der "Restos du Coeur" (Restaurants des Herzens) in Freyming-Merlebach. Rund 200 Personen kommen täglich. Sie mussten sich vorher anmelden und ihre Bedürftigkeit nachweisen. 17 Wochen lang - von Dezember bis März - können sie hier Lebensmittel für eine ausgewogene Mahlzeit am Tag abholen. Das Prinzip ist der deutschen Tafel ähnlich - mit dem Unterschied, dass die Lebensmittel komplett umsonst und länger haltbar sind. Zudem liegt der Schwerpunkt auf der Wintersaison. "Im Winter sind die Kosten fürs Heizen hoch. Wer hier sein Essen bekommt, kann so Geld sparen", sagt Jacqueline Schutz, die das Resto leitet. Die Philosophie der Restos ist Hilfe zur Selbsthilfe. "Wir wollen den Leuten helfen, wieder aus der Misere zu kommen. Sie sollen sich aber nicht auf dieser Leistung ausruhen", sagt Schutz.

Die 47-jährige Isabelle ist seit 2006 arbeitslos und kommt das zweite Jahr. Sie hat sich zur Lkw-Fahrerin umschulen lassen und hofft, im Januar Arbeit zu finden. Isabelle bekommt pro Tag 15,14 Euro Arbeitslosengeld (genannt ASS, Allocation de solidarité specifique). Das reiche nicht für Miete, Versicherungen und Nebenkosten. "Ich bin sehr froh, dass ich hier mein Essen bekomme", sagt Isabelle. Sie nimmt, was man ihr gibt, sagt sie. Sie ist froh, nicht obdachlos zu werden.

Auf einem Viertel der Lebensmittel ist die europäische Flagge zu sehen - sie stammen aus dem EU-Nahrungsmittelprogramm. Der Rest wird von der Organisation in großen Mengen günstig eingekauft und an regionale Depots - das nächste ist in Bitche - geschickt. Zudem werden zwei Mal im Jahr von Einkaufszentren Sachspenden gesammelt.

Auf Spenden angewiesen

Die Restos sind auf Spenden angewiesen. Im Vorjahr wurden 65 Millionen Euro eingenommen und damit 830 000 Menschen versorgt (siehe Hintergrund). Nicht umsonst sei die Organisation "die beliebteste der Franzosen", meint Serge Schutz, zuständig für den Resto-Bereich Moselle-Est.

Gabriele Eckert ist das dritte Jahr hier. Die aus dem Saarland stammende Frau hat vor 38 Jahren einen Franzosen geheiratet und lebt seitdem im Département Moselle. Sie hat zunächst als Kellnerin gearbeitet, dann in Freyming-Merlebach ein Bistro betrieben. Seit 2001 ist sie arbeitslos. Die 54-Jährige lebt von Gelegenheitsjobs und Arbeitslosengeld. "Ich musste mich überwinden herzukommen, aber es hilft mir viel", sagt Eckert. Einen Tag in der Woche hilft sie selbst beim Resto mit.

In Folge der Wirtschaftskrise nahm die Zahl der Bedürftigen 2009 um fast 50 Prozent zu. Dieses Jahr sind es 20 Prozent mehr. Zwei Drittel davon sind Frauen. Bis zum Parkplatz des Resto hätten die Menschen morgens Schlange gestanden, sagt Jacqueline Schutz. "Viele kommen früh morgens, damit sie von den Nachbarn nicht erkannt werden, weil sie sich schämen", erzählt Schutz.

Hintergrund

Die "Restos du Coeur" wurden 1985 von dem Komiker Coluche gegründet. Er äußerte während einer Radiosendung die Idee, eine Gratis-Kantine für Hungernde zu schaffen. Seitdem wurden in Frankreich rund eine Milliarde Essen an Bedürftige ausgegeben. Im Département Moselle sind die Restos in rund 30 Orten wie Forbach, Saargemünd oder Sierck-les-Bains vertreten. In Moselle hat die Organisation mit etwa 900 Ehrenamtlichen voriges Jahr über 13 400 Menschen betreut. In ganz Frankreich haben 50 000 Ehrenamtliche 830 000 Menschen mit 100 Millionen Essen versorgt. mwi

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