"Ehrlich und abschreckend"

Hüttersdorf. Die Jugendlichen, die zum Vortrag von Manuel Bauer ins Jugendzentrum in Hüttersdorf kommen, wissen, wie Neonazis aussehen und auch, was ihre Überzeugungen sind. All ihre Fragen sind damit aber längst nicht beantwortet. Bauer (34) ist einer der bekanntesten Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene

 Der Neonazi-Aussteiger Manuel Bauer. Foto: J. Kallenbrunnen

Der Neonazi-Aussteiger Manuel Bauer. Foto: J. Kallenbrunnen

Hüttersdorf. Die Jugendlichen, die zum Vortrag von Manuel Bauer ins Jugendzentrum in Hüttersdorf kommen, wissen, wie Neonazis aussehen und auch, was ihre Überzeugungen sind. All ihre Fragen sind damit aber längst nicht beantwortet. Bauer (34) ist einer der bekanntesten Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene. An Veranstaltungen für die Internationalen Wochen gegen Rassismus hat sich auch die Jugend-Perspektive Schmelz beteiligt - und Bauer für einen Workshop eingeladen."Pistole" war sein Deckname, als er Anführer der Kameradschaft Dommitzsch war. Sein Umdenken war ein schwieriger Prozess und hat einige Jahre gedauert. Heute ist er Berufsaussteiger: In Workshops und Vorträgen will er über die deutschen Rechtsextremisten und ihr Netzwerk aufklären. "Alles, was ich heute tun kann, ist, Jugendliche von dieser Szene abzuschrecken", sagt Bauer.

Vor den Jugendlichen nimmt er kein Blatt vor den Mund. "Ich habe einer schwangeren Frau in den Bauch getreten", erzählt Bauer, und: "Seit meinem 14. Lebensjahr stand ich jedes Jahr vor Gericht. Ich fand das damals richtig cool." In seinem Workshop demonstriert er, wie die rechte Szene mit Malbüchern, Videospielen und auch mit Musik der unterschiedlichsten Richtungen versucht, Kindern und Jugendlichen ihre Ansichten zu vermitteln. Bauer selbst hatte seinen ersten Kontakt zur Szene mit elf Jahren durch eine Musikkassette. "Musik ist Informations- und auch Emotionsträger", sagt Bauer. Er spielt ein Lied einer rechtsradikalen Band an, aus den Boxen dröhnt der Bass, Gitarren kreischen - und die Jugendlichen im Raum wippen unweigerlich mit den Füßen und trommeln im Takt mit den Fingern auf ihre Oberschenkel. "Seht ihr? Genau so funktioniert das! Musik löst etwas aus in Menschen", sagt Bauer.

Der Sozialpädagoge Ralf Wiehn von der Jugend-Perspektive Schmelz ist froh, Bauer mit seinen Vorträgen im Boot zu haben. "Er kann sehr gut und jugendgerecht erzählen, sehr bildlich und exakt, ohne abstrakte Äußerungen. Wir wollen die Jugendlichen hier für das Thema Rechtsradikalismus sensibilisieren, und das geht mit am besten durch einen, der selbst einmal mitten drin gewesen ist."

Die Jugendlichen bekommen, was sie erwartet haben: "Ich wusste, dass er viel aus der Szene erzählen kann, Ehrliches und eben auch viel Abschreckendes", sagt Philipp Engstler (19) aus Hüttersdorf. "Seine Beispiele bleiben im Kopf." Florian Holzer (19) aus Hüttersdorf, sagt: "Ihm können wir Fragen stellen, die uns beschäftigen. Er erklärt Dinge, die wir die Nazis, die wir auf der Straße sehen, einfach nicht fragen können."

Wenn er heute, wann immer über den NSU oder die NPD berichtet wird, einen Rechtsradikalen im Fernsehen sieht, schämt Bauer sich. "Ich erkenne mein altes Ich ja immer noch wieder in dem, was ich da sehe. Dass ich damals den endgültigen Ausstieg beschlossen habe, war auch eine Folge davon, dass ich im Fernsehen zugesehen habe, wie ein Neonazi ein Kind tritt. Plötzlich bin ich ganz kleinlaut geworden, weil ich weiß: Das habe ich selbst einmal getan, viele Male. Und heute bin ich so froh, dass ich ausländisch essen gehen kann."

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