Drei Millionen Kinder leben mit psychisch kranken Eltern

St. Wendel. Stress, hohe Anforderungen, Erfolgsdruck - das sind nur einige Faktoren, die der Psyche eines Menschen auf Dauer zu schaffen machen können. Bei psychischen Erkrankungen leidet oft nicht nur der Betroffene selbst, sondern die ganze Familie und vor allem die Kinder. Drei Millionen Kinder leben deutschlandweit mit einem psychisch kranken Elternteil zusammen

St. Wendel. Stress, hohe Anforderungen, Erfolgsdruck - das sind nur einige Faktoren, die der Psyche eines Menschen auf Dauer zu schaffen machen können. Bei psychischen Erkrankungen leidet oft nicht nur der Betroffene selbst, sondern die ganze Familie und vor allem die Kinder. Drei Millionen Kinder leben deutschlandweit mit einem psychisch kranken Elternteil zusammen. Diese Zahl warf Hildegard Marx, Krankenhausoberin des Marienkrankenhauses in St. Wendel, anlässlich einer Fachtagung des "Arbeitskreises Kinder psychisch kranker Eltern" in den Raum. Seit 2009 gibt es diesen Arbeitskreis im Landkreis St. Wendel, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein Netzwerk für Ratsuchende aufzubauen. "Es ist von unschätzbarem Wert, dass der Arbeitskreis hilft, Kindern zu erklären, was mit Mama oder Papa los ist", lobte Landrat Udo Recktenwald. Es gebe noch immer viele Vorurteile, was Erkrankungen der Psyche betreffe. Um diese abzubauen und zu verstehen, was in Kindern psychisch kranker Eltern vorgeht, war Gastredner Professor Albert Lenz von der Klinischen Psychologie und Sozialpsychologie an der Katholischen Hochschule in Nordrhein-Westfalen zur Fachtagung gekommen.Ungefähr 60 Prozent der Kinder, die mit psychisch kranken Eltern zusammenleben, entwickeln im Laufe ihres Lebens ebenfalls psychische Störungen. "Es deutet aber nichts daraufhin, dass psychische Erkrankungen vererbt werden", betonte Lenz. "Es wird aber die Empfänglichkeit dafür vererbt." So haben die Kinder schizophrener Eltern ein dreizehnfach erhöhtes Risiko ebenfalls an Schizophrenie zu erkranken. Kinder depressiver Eltern leben mit einem sechsfach erhöhten Risiko, ebenfalls eine Depression zu entwickeln. Gerade Heranwachsende belaste die Angst, selbst zu erkranken. Deshalb sei es wichtig, die Jugendlichen aufzuklären.

Für Lenz ist Kommunikation ein sehr wichtiges Element, um den Kindern zu helfen. Wird die Krankheit des Elternteils tabuisiert, treten häufig Schuldgefühle auf. Und zwar auf beiden Seiten. "Das Kind denkt: Mama ist krank, weil ich frech war. Und die Mutter denkt: Ich werde meiner Aufgabe nicht gerecht", so Lenz.

Studien zeigen, dass sich psychisch kranke Eltern Sorgen um die Entwicklung ihrer Kinder machen. "Doch viele zögern, Hilfe in Anspruch zu nehmen", weiß Lenz. Meist aus Angst, das Sorgerecht zu verlieren.

Warum leiden manche Kinder stärker unter der Erkrankung der Eltern als andere? Auch mit dieser Frage beschäftigte sich der Professor. "Kinder werden dünn- oder dickhäutig geboren", so Lenz. Aber auch die Umwelt spiele eine entscheidende Rolle. Ein positives Temperament, ein starkes Selbstwertgefühl und Selbstbestimmung seien wichtige Faktoren, die Kinder besser mit Belastungen klar kommen lassen.

Ein stabiles familiäres Umfeld ist für Kinder der wichtigste Schutz. Ein offener Umgang mit der Krankheit der Eltern, kindgerechte Informationen dazu - all das sei entscheidend. "Deshalb erachte ich Familienarbeit als sehr wichtig", sagte Lenz. Außerdem forderte der Professor eine enge Kooperation von Kinder- und Jugendpflege mit der Psychiatrie. Im "Arbeitskreis Kinder psychisch kranker Eltern" des Landkreises St. Wendel sind verschiedene Partner vertreten. Sie kommen sowohl aus dem Bereich Kinder- und Jugendpflege als auch aus der Psychiatrie.

An dem Arbeitskreis sind beteiligt: der Landkreis St. Wendel, der Caritasverband Schaumberg-Blies, die Stiftung Hospital St. Wendel, die Lebensberatung des Bistums Trier, die SHG Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Landesverband Saarland der Angehörigen psychisch Kranker und seit 2010 auch die Klinik für Psychiatrie im Marienkrankenhaus St. Wendel. evy

"Ich erachte Familienarbeit als sehr wichtig."

Professor Albert Lenz, Psychologe

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