Dreck unterm Stadtteppich

Als Journalist scheut man sich nicht vor dunklen Kapiteln. Im Gegenteil, sie besitzen eine gewisse Anziehungskraft.

Man schaut dort hin, wo andere gerne wegsehen und vergessen - wo die Vergangenheit Narben trägt. Wie war das eigentlich mit den Nationalsozialisten in Merzig, habe ich mich gefragt. Überraschend wenig erfuhr ich: Ein Mantel des Schweigens liegt über der Stadt. In den Archiven klaffen zwischen 1933 und 1945 große Lücken, sagt der Kollege. Klar, es gibt die Stolpersteine, Gedenktafeln und über die jüdische Gemeinde Texte. Wenige Bürger engagieren sich seit Jahren. Aber eine umfassende Dokumentation der Tätergeschichte? Ein aktives Aufarbeiten durch Politik und Verwaltung? Fehlanzeige. Ein Phänomen, das Merzig mit meiner hessischen Heimatstadt Büdingen teilt. Auch hier ist über den NS-Terror wenig bekannt. Die verbliebenen, greisen Zeugen schweigen, Akten sind vernichtet. Doch in beiden Städten wurden Menschen jüdischen Glaubens gedemütigt, verfolgt und ermordet. In beiden Städten begeisterten sich Bürgermeister, Stadträte und Pastoren für die braune Ideologie. Die NSDAP erhielt regen Zulauf. Beide Städte benannten Straßen und Plätze nach Nazi-Größen und dem Mann mit dem Schnauzbart. Die Bevölkerung feierte unterm Hakenkreuz. Bis heute wird all das sowohl in Merzig als auch in Büdingen unterm Teppich gehalten. Eine überfällige Aufarbeitung bleibt aus. Nur einen symbolischen Akt hat die Kleinstadt meiner Kindheit der Kleinstadt an der Saar voraus. In Büdingen ist Adolf Hitler seit 2007 kein Ehrenbürger mehr. In Merzig trägt der Diktator diesen Titel bis heute. Seine Aberkennung wäre doch 2014 ein denkwürdiger Einstand für den neuen Bürgermeister.

Kai Thomas ist in Büdingen in Hessen aufgewachsen. Derzeit führt ihn sein Volontariat täglich nach Merzig.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort