Missbrauchsvorwürfe im Uniklinikum Disziplinarverfahren gegen Klinikchef

Saarbrücken/Homburg · Im mutmaßlichen Missbrauchsskandal scheint der Direktor der Homburger Kinderpsychiatrie abgetaucht.

 Der Justizausschuss des Landtags wird sich mit den Geschehnissen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Homburg beschäftigen.

Der Justizausschuss des Landtags wird sich mit den Geschehnissen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uniklinik Homburg beschäftigen.

Foto: BeckerBredel

Die Rechtsaufsicht beim Wissenschaftsministerium, das der Staatskanzlei zugeordnet ist, hat nach Informationen unserer Zeitung ein Disziplinarverfahren gegen den Direktor der Homburger Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS), Professor Dr. Alexander von Gontard, eingeleitet. Bislang hieß es im Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Missbrauchsskandal in einer Spezialambulanz (Ausscheidungsambulanz) der Klinik nur, es werde disziplinarrechtlich gegen einen „leitenden Beamten“ des UKS ermittelt. Hintergrund ist angeblich, dass konkrete Maßnahmen zum Kinderschutz und der Patientenfürsorge in der Ambulanz lange Zeit unterblieben sein sollen.

Ein 2016 verstorbener Assistenzarzt, der von 2010 bis 2014 für die Klinik arbeitete und mehr als 300 junge Patienten behandelte, soll Kinder sexuell missbraucht haben. „Vermutlich aus sexuellen Motiven heraus“, so der UKS-Vorstandsvorsitzende Professor Wolfgang Reith, wurden über einen längeren Zeitraum hinweg „medizinisch nicht notwendige Untersuchungshandlungen vorgenommen“. Die Klinik hatte Ende 2014 Strafanzeige erstattet und den Arzt fristlos gefeuert. Die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte die Akten von 34 Patienten. Die Ermittlungen mussten dann Mitte 2016 nach dem Tod des Beschuldigten eingestellt werden. Die mutmaßlichen Opfer und deren Erziehungsberechtigte wurden aber erst mit jahrelanger Verspätung von der Uniklinik in diesen Tagen informiert. Jetzt werden ihnen gezielte Beratungs- und Hilfsangebote unterbreitet.

Klinikchef von Gontard war am Dienstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Ein ihm übermittelter Fragenkatalog blieb unbeantwortet. So bleibt auch die Frage offen, wie die Chefarzt-Anordnung, der Arzt dürfe Kinder und Jugendliche nicht mehr alleine untersuchen, kontrolliert und dokumentiert wurde. Entsprechende Hinweise an den Klinikchef zu pädophilen Neigungen des Arztes waren zuvor wohl bekannt geworden. Bei einer kurzfristig zum Wochenbeginn einberufenen Pressekonferenz des UKS – die SZ hat ausführlich berichtet – wurde von Gontard vermisst. Auf Nachfrage hieß es, der ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende Reith vertrete das UKS in dieser Runde.

Die ebenfalls in die Kritik geratene Staatsanwaltschaft rechtfertigte unterdessen ihr Vorgehen, auch nach der Einstellung des Verfahrens die Betroffenen nicht zu informieren, mit dem Hinweis, bei den Ermittlungen konnte „bis zum Tod des Beschuldigten keine konkrete Tat zum Nachteil eines Kindes individualisiert werden“. Deshalb habe keine rechtliche Grundlage für eine Information der Patienten bestanden.

Der Justizausschuss des Landtages wird sich, so der Vorsitzende Reiner Zimmer (SPD), mit der Thematik befassen. Derweil spricht Grünen-Landeschef Markus Tressel von einer „Horrorvorstellung für Kinder und Eltern“. Die bewusste Nicht-Information der Betroffenen erschüttere „das Vertrauen in die Klinikleitung und die Verantwortlichen beim Land“. Sollte sich eine Vertuschungsabsicht bestätigen, „brauche es personelle Konsequenzen“. Linken-Fraktionschef Oskar Lafontaine sagte: „Die bisherigen Erklärungen der Landesregierung, warum die möglichen Opfer und ihre Erziehungsberechtigten jahrelang nicht über den Missbrauchsverdacht an der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ informiert wurden, seien nicht ausreichend. Er will wissen: „Wann wurde der Chef der Staatskanzlei und UKS-Aufsichtsratsvorsitzende Jürgen Lennartz (CDU) unterrichtet?“ Und er fragt, wann die damals zuständige Wissenschaftsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) informiert worden sei.

Ein Sprecher der AfD-Landtagsfraktion hält es derweil für „eher wahrscheinlich, dass die Klinikleitung Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche vereiteln wollte.“

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