Abschied von Schwester Ulrika „Diese Frau ist nicht zu ersetzen“

Hüttigweiler · Dutzende Menschen bereiteten Schwester Ulrika an ihrem letzten Abend in Hüttigweiler einen emotionalen Abschied.

 Sterbebegleitung kann nicht jeder, dabei ist diese Arbeit so wichtig für die Betroffenen und ihre Angehörigen.

Sterbebegleitung kann nicht jeder, dabei ist diese Arbeit so wichtig für die Betroffenen und ihre Angehörigen.

Foto: dpa/Andreas Arnold

Rund 30 Menschen haben sich im Vorgarten vor dem hellgelben Haus gegenüber der Hüttigweiler Kirche gesammelt. Die Jüngeren sitzen auf einer Holzbank oder stehen um das Lagerfeuer. Die Älteren haben ihre eigenen Klappstühle mitgebracht. Auf dem Tisch gibt es wahrscheinlich mehr Kuchen und Sandwiches als die Anwesenden verzehren können. In der Nacht soll noch Pizza dazu kommen. Stärkung ist aber wichtig. Die meisten wollen nämlich die ganze Nacht hier bleiben. Die Stimmung ist gut, auch wenn der Anlass der Versammlung ein trauriger ist. Nach 44 Jahren muss die gute Seele von Hüttigweiler gehen. Schwester Ulrika wurde ins Mutterhaus nach Mainz zurückbeordert. Unter den Menschen, die gekommen sind, um mit der Schwester ihre letzte Nacht im Ort zu verbringen, hat ziemlich jeder eine Geschichte mit der Ordensfrau.

„Als meine Schwester ganz krank wurde, war Ulrika jede Nacht bei uns“, erzählt die achtjährige Dilber. Ihre Mutter bestätigt: „Als meine 28-jährige Tochter Krebs bekam, war die Schwester jeden Tag bei uns. Oft bis zwei, drei Uhr nachts. Sie hat sie bis zu ihrem Tod begleitet und auch danach war sie für unsere Familie da. Ihr ist egal, dass wir Kurden sind. Sie hilft jedem, Christ oder nicht, sie macht keinen Unterschied.“ Sterbebegleitung kann nicht jeder, dabei ist diese Arbeit so wichtig für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Das weiss Hüttigweilers Ortsvorsteher Guido Jost (SPD). Die ausgebildete Krankenschwester pflegte auch seine Oma und seinen Vater. „Sie findet die richtigen Worte, um den Leuten die Angst vor dem Tod zu nehmen. Sie hat den Schlüssel von alten Menschen, deren Angehörige weit weg wohnen und die sich einsam fühlen. Die Lücke, die sie hinterlässt, ist riesig. Diese Frau ist nicht zu ersetzen“, bedauert Jost. Rund um die Uhr, selbstlos und kostenlos stand Schwester Ulrika an der Seite derjenigen, die ihre Zuwendung am meisten gebraucht haben. „Für sie war das keine Aufopferung, das hier ist ihr Leben, ihre Berufung, das macht sie gerne und das spürt man“, sagt Jost.

Ein Leben, das für manche in Hüttigweiler zum Vorbild wurde. So wie für Jutta Braun. „Wie sie mit alten und kranken Menschen umgeht, immer mit Würde und guter Laune. Das hat mich beeindruckt“, erzählt die 53-Jährige. Schwester Ulrika wurde zu ihrer Inspiration und Jutta Braun zur Altenpflegerin. Als sie vor ein paar Monaten erfuhr, dass Ulrika unfreiwillig denn Ort verlassen muss, war Jutta Braun schockiert und wütend. Am nächsten Tag trat sie aus der Kirche aus. Ein älterer Mann neben ihr nickt nachdenklich mit dem Kopf. Er hat schon drei Mal versucht, in die Wohnung rein zu kommen, um der Schwester ein paar Worte zu sagen: „Das geht nicht, sie ist immer noch am Telefonieren!“. Wer nicht laufen kann, ruft halt eben vom Krankenbett aus an, um sich von Schwester Ulrika zu verabschieden. Und das dauert.

Doch zwei Stunden später löst sie sich doch vom Telefon und taucht in ihrem weißen Gewand unter Applaus vor dem Haus auf. Bodenständig und gut gelaunt wie immer: „Jetzt hamma das, die letzten Kisten sind gepackt.“ Alle wollen sie drücken, die ersten Tränen fließen. Schwester Ulrika lächelt, die Wehmut des Augenblicks wird leicht überspielt. „Man geht doch nie ganz, die Menschen bleiben in meinem Herzen“, sagt sie. Ob sie bald wieder zu Besuch kommt? „Darauf können Sie sich verlassen. Ich bin weg, aber wenn ich zu Besuch kommen will, habe ich jetzt 43 Wohnungen in Hüttigweiler.“ Bevor sie ins Kloster geht, gibt es erstmal eine Auszeit. „Ich will auf den Jakobsweg gehen. Danach würde ich am liebsten alle Erinnerungen mit den Menschen hier in einem Buch aufschreiben“, sagt die 74-Jährige. Eine gute Beschäftigung, falls es im Kloster zu langweilig wird. „Langweilig? Mir wird nie langweilig!“, erwidert sie. Und das glaubt man ihr aufs Wort.

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