"Die Wölfe halten mich jung"

Aaauuuuuuu! Draußen, im Gehege hinter dem Haus, jault eine weiße Wölfin - und ein vielstimmiges Echo ertönt aus dem Wald. "Das kann vieles bedeuten", erklärt Werner Freund, Gründer und Leiter des Merziger Wolfsparks, bei einer Tasse Kaffee drinnen im Wohnzimmer. Selten, diesen Mann in einer Mußestunde anzutreffen

Aaauuuuuuu! Draußen, im Gehege hinter dem Haus, jault eine weiße Wölfin - und ein vielstimmiges Echo ertönt aus dem Wald. "Das kann vieles bedeuten", erklärt Werner Freund, Gründer und Leiter des Merziger Wolfsparks, bei einer Tasse Kaffee drinnen im Wohnzimmer. Selten, diesen Mann in einer Mußestunde anzutreffen. "Das Heulen bedeutet Stärke, Zusammenhalt, Aufbruch zur Jagd - oder einfach 'Hallo, hier sind wir'!" Genau, hier sind sie, die Wölfe in seinem Leben, und das seit über 40 Jahren. An diesem Samstag wird ihr Oberwolf 80 Jahre alt. Aber für einen Ruhestand habe er keine Zeit, sagt Freund, der Wolfsforscher im Parka, der sein halbes Leben mit den Rudeltieren verbracht hat. Und er hat auch keine Lust auf Ruhestand.Draußen im Park, in der Anlage der Arktiswölfe, ist der Oberwolf dann in seinem Element. In sich ruhend sitzt er auf dem gefrorenen Waldboden: "Erst mal begrüßen." Nicky, Monty und die anderen - ein sechsköpfiges Rudel - eilen zum Guten-Tag-Sagen. Die Raubtiere umgarnen ihn, spielen, knurren zum Gruß. Dann gibt's Essen. Freund nimmt Fleischbatzen zwischen die Zähne, und die Arktischen packen zu. Körperkontakt, toben, Fütterungszeit - Momente wie diese haben Werner Freund und sein Leben mit Wölfen berühmt gemacht. Fernsehteams aus der halben Welt waren schon bei ihm in Merzig, zuletzt hat der Wolfsvater der BBC London ein Interview gegeben. Es ist sein Lebenswerk, das begeistert: Werner Freund und seine Wölfe oder auch: Wolf Werner und seine Freunde.

Zurück im Wohnzimmer, wo Freund und seine Frau Erika seit Jahrzehnten Wolfsjunge großziehen. Momente der Ruhe sind selten im Leben des "obersten Wolfstiers", wie er sich nennt. Werner Freund als Alphawolf zu bezeichnen, wäre falsch, "das ist etwas anderes". Das Alphatier ist das Führungstier im Rudel, sagt der Wolfsforscher; jedes Rudel im Merziger Wolfsfreigehege hat so einen Chef. Freund steht in der Rangordnung über den Alphatieren, wird von jedem Tier als Oberster der ganzen Truppe akzeptiert - "aber nur, weil ich mich an die Ordnung anpasse". Das tut Freund, seit er 1972 seinen ersten Wolf bekam. Seither erforscht er das Verhalten der Tiere, will sie schützen und ihnen eine Heimat geben. Bevor er die Tiere in ihrem Gehege besucht, muss er duschen und sich umziehen. Alle Rudel hintereinander in derselben Kluft zu besuchen, ginge nicht. Wegen des Geruchs. Die Wildtiere akzeptieren keinen Wolf, der nach einem anderen Rudel riecht - auch nicht den Oberwolf. Zu einem solchen hat sich der gelernte Gärtner, der später Ausbilder bei der Bundeswehr war und auf 17 Expeditionen die Naturvölker der Welt erkundete, mit den Jahren entwickelt. "Ich habe zwei Leben", sagt er oft, "eines als Mensch und eines als Wolf". Zuvor war er während seiner Armeezeit bereits Bärenvater. Um die Bären als "Maskottchen" des Luftlandeunterstützungsbataillons 262, mit dem er 1972 aus dem Allgäu nach Merzig versetzt wurde, kümmerte sich Freund jahrelang. Dann kamen die Wölfe - und ließen den gebürtigen Hessen nie mehr los.

"Der schönste Moment ist immer, wenn junge Wölfe da sind und bei mir in der Hütte schlafen", sagt Freund. Alle zwei Stunden müssen die Kleinen Milch bekommen - der Verzicht auf Nachtruhe und die ständige Bewegung unter Wölfen in der Natur sind zwar nicht typisch für einen 80-Jährigen, aber für einen 80 Jahre alten Werner Freund schon. "Ich kenne keinen Ruhestand." Seine Frau Erika weiß das - und trägt sein Leben mit, seit sich die beiden 1962 in ihrer Heimatstadt Berlin kennen und lieben lernten. "Es gibt ja auch ruhigere Zeiten", sagt die 73-Jährige, "aber natürlich ist immer etwas zu tun und es ist oft anstrengend." Den Verzicht auf gemeinsamen Urlaub oder einen ruhigen Lebensabend nimmt sie in Kauf, seit auch sie 1972 mit den Wölfen "angefangen" hat. Eigene Kinder hat das Paar nicht. "Wölfe aufziehen und begleiten - mir war schon von Anfang an bewusst, dass das eine Lebensaufgabe ist."

Der Tag des Ehepaars Freund und seiner Handvoll Mitarbeiter beginnt im 1977 gegründeten Wolfspark, der heute jährlich rund 100 000 Besucher begrüßt, gegen sechs Uhr früh. 28 Wölfe leben derzeit in den Gehegen, es sind Arktiswölfe und mongolische Wölfe, sibirische oder kanadische. "Einen Lieblingswolf kann ich nicht haben", sagt der Oberwolf, "das würde die Ordnung im Rudel stören." Er liebt sie alle: "Sie sind unsere Familie." Und: "Sie halten mich jung."

Auch im hohen Alter spielt Freund in jedem Rudel mit, wälzt sich am Boden, steht - nicht mehr ganz so mühelos wie früher - wieder auf. "Ich habe mittlerweile einen Waldstock, daran haben sie sich aber schon gewöhnt", sagt der Mann, der immer an die Wölfe denkt und "selbst zum Wolf geworden" ist, lächelnd. Im Laufe der Zeit haben Freunds über 70 Wölfe großgezogen. Seit über 30 Jahren betreibt Werner Freund im Wolfspark nun Wolfsforschung - nicht akademisch, sondern von Angesicht zu Angesicht. Die Tiere faszinieren ihn nach wie vor, sagt er.

Sein Geburtstagswunsch lässt sich leicht erraten: "Ich wünsche mir, dass ich noch lange bei den Wölfen bin." Sein Lebenswerk, fügt er hinzu, werde einmal von den Park-Mitarbeitern um Tatjana Schneider weitergeführt. Aber so weit ist es noch nicht, klar.

Draußen, beim Füttern der Polarwölfe, spricht ihn ein Spaziergänger an, ein alter Bekannter von früher. "Oh Werner, wie lange willst du das da noch machen?" Der Oberwolf überlegt nicht lange. "Wieso?", ruft er, wirft einen kurzen Blick auf sein Rudel und meint: "Es geht doch noch." "Ich wünsche mir, dass ich noch lange bei den Wölfen bin."

Werner Freund

"Werner Freund

ist ein lebendiger Bestandteil

der '262er' -

eine Bereicherung!"

Andreas Büschenfeld, Kommandeur des Luftlandeunterstützungsbataillons

"Mich beeindruckt

an Werner Freund, dass er sich so zäh wie ein Wolf für die Wölfe einsetzt - für mich

ein Vorbild."

Norbert Fritsch,

Direktor des Neunkircher Zoos

zur person

Werner Freund - Weltenbummler und Wolf unter Wölfen:

2. März 1933: Freund kommt in Garbenteich/Hessen zur Welt.

1950: Gärtner in der Wilhelma in Stuttgart, er entdeckt sein Talent im Umgang mit Tieren und wird Raubtierpfleger.

1955: Wechsel zum Bundesgrenzschutz, zwei Jahre später wird er Berufssoldat.

1961: Leiter des Einzelkämpferlagers des Fallschirmjägerbataillons 262 (heute Luftlandeunterstützungsbataillon), damals in Bad Bergzabern, kümmert sich fortan um die "Maskottchen" der Abteilung: Bären.

1962: Heirat mit Erika Mahr aus Berlin.

60er bis 80er Jahre: Expeditionen zu Naturvölkern in aller Welt, unter anderem in Neuguinea, Afrika und Mittelamerika.

1972: Freund bekommt seinen ersten Wolf Ivan, Umzug nach Merzig (Fallschirmjägerbataillon wurde dorthin verlegt).

1977: Gründung des Wolfsparks im Merziger Kammerforst mit Unterstützung der Stadt, Besucher aus aller Welt bis heute.

1983: Der "Förderkreis Merziger Wolfspark" gründet sich.

1995: Freund erhält den Saarländischen Verdienstorden für seine Sorge um die Wölfe; Autor mehrerer Wolfsbücher, die in viele Sprachen übersetzt werden.

1995: Expeditionsmuseum Werner Freund am Merziger Kirchplatz wird eröffnet, dort werden Exponate aus Freunds Reisen um die Welt gezeigt.

Seit 2006: Der Wolfspark wird ausgebaut, mittlerweile umfasst er rund 13 Hektar.

2. März 2013: Werner Freund wird 80 Jahre alt. kes

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