Die Wahrheit ist ein zeitloser Raum

Wemmetsweiler · Fast 80 Jahre alt und stets ein offenes Ohr: Marlene Weber (79) betreibt in Wemmetsweiler schon jahrelang die Gaststätte Zur Wahrheit. SZ-Leser Wolfgang Huys ist dort seit über 40 Jahren Stammgast.

In Wemmetsweiler hat die Wahrheit sogar eine Adresse: Seit 1949 befindet sich unterhalb des Rathauses die Gaststätte Zur Wahrheit. Glaubt man den Stammgästen, arbeitet dort niemand Geringeres als "die beste Wirtin in ganz Südwestdeutschland". Eine flotte Kurzhaarfrisur und stets hilfsbereit - mit ihren 79 Jahren betreibt Marlene Weber immer noch die Gaststätte, die ihr Vater Peter Cornely einst gründete. Wie die Wirtin beim Besuch der Saarbrücker Zeitung berichtet, sei der Name der Kneipe aber mit einem großen Augenzwinkern zu nehmen: "Mein Vater hat die Leute gerne mal auf den Arm genommen." Wenn etwa pünktlich um zwei Uhr mittags die Garderobe heftig wackelte, war das nicht die Waschmaschine, die Peter Cornely extra eine Etage obendrüber eingeschaltet hatte; er verbreitete glaubhaft, dass es sich um ein Grubenbeben handelte. Ursprünglich wollte Marlene Weber nie die Gaststätte ihres Vaters übernehmen; ein Pflegeberuf sollte es sein.

Im Hotelfach ausgebildet

Dennoch machte sie eine Ausbildung zur Hotelfachfrau und übernahm nach dem Tod ihres Vaters die Gaststätte - inklusive der Stammgäste. "Ich bereue es nicht, denn sie sind für mich wie eine zweite Familie. Ich leide mit ihnen mit und bin froh, wenn es ihnen gut geht", sagt Marlene Weber über die Herren, die sie seit 1988 selbst bewirtet, aber teilweise schon viel länger kennt. Ein Stammgast ist Wolfgang Huys (62) aus Wemmetsweiler. Vor über 40 Jahren habe ihn ein Kamerad Zur Wahrheit geführt; seitdem kehre er dort regelmäßig ein, um sich mit den vertrauten Gesichtern zu unterhalten. "Ich habe dort viele nette Leute kennen gelernt - vom Bauarbeiter bis hin zum Bankdirektor", sagt der 62-jährige Rentner; er schätze diese Vielfalt. In der urigen Kneipe, mit gemütlichen Sitznischen und dunklen Holzwänden, fühle er sich wie zu Hause. Nicht nur von der Einrichtung her sei dort die Zeit stehen geblieben: "Wer hierher kommt, spürt sein Alter nicht. Es ist eine Art zeitloser Raum."

Samstags um 12 Uhr herrscht in der Gaststätte immer reges Treiben: Die ganze "Familie" versammelt sich für ein paar Stunden, um ein Schwätzchen zu halten, ein kühles Blondes zu genießen und zu schlemmen. Auf dem Tresen thront dann immer ein kleines Büffet, das die einzelnen Stammgäste und Marlene Weber zusammengetragen haben. Wenn man die 79-Jährige fragt, wie lange sie noch hinter dem Tresen stehen will, kommt prompt: "So lange ich noch kann." Der Mittwoch, ihr Ruhetag, sei ihr manchmal schon zu viel der freien Zeit. Dass Marlene Weber derart an ihrem Beruf und der Kneipe hängt, freut die Stammgäste. Schon jetzt fiebert Jule Cartelli (73), gebürtiger Italiener, den Wortgefechten entgegen, die sich beim gemeinsamen Angucken der Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Sommer ergeben werden; "natürlich vor allem bei einem möglichen Duell Deutschland gegen Italien". Gewinnt Italien, schmeißt Jule Cartelli eine Runde; siegt Deutschland, gehen die Biere aufs Haus. Im Juni, wenn die WM beginnt, erheben die Stammgäste aber noch aus einem ganz anderen Grund ihr Glas: Dann feiert Marlene Weber ihren 80. Geburtstag - natürlich auch mit ihrer "Zweitfamilie".

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