Die Todesfee kreischt in Saarbrücken
Freunde kann man sich im Gegensatz zur Verwandtschaft aussuchen, heißt es. Wirklich? Ich glaube nicht. Das ist nur so ein Spruch für und von Leuten, die ihre Verwandtschaft nicht mögen. Immerhin: Verwandtschaft ist klar definiert. Aber was ist ein Freund? Ich weiß nicht mehr, an welchem Tag er in mein Leben trat, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Hunter S
Freunde kann man sich im Gegensatz zur Verwandtschaft aussuchen, heißt es. Wirklich? Ich glaube nicht. Das ist nur so ein Spruch für und von Leuten, die ihre Verwandtschaft nicht mögen. Immerhin: Verwandtschaft ist klar definiert. Aber was ist ein Freund?Ich weiß nicht mehr, an welchem Tag er in mein Leben trat, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Hunter S. Thompson schon tot war, als ich ihm zum ersten Mal begegnet bin. Es muss also nach dem 20. Februar 2005 gewesen sein, nach dem Tag also, an dem Hunter sich entschieden hatte, dass es genug ist und sich das Leben genommen hatte. Irgendwann danach habe ich "Angst und Schrecken in Las Vegas" gelesen, eine von Hunters genialen Geschichten über eine Konferenz von Staatsanwälten. Ein Klassiker des Gonzo-Journalismus. "Gonzo" sagen die Amerikaner, wenn sie etwas als exzentrisch, als absolut verrückt, von der Norm abweichend beschreiben. Und was Hunter unter anderem für das "Rolling Stone"-Magazin geschrieben hat, ist sehr gonzo. Der Mann hat zum Beispiel Politik beschrieben wie einen Horrortrip. "Angst und Schrecken in New Hampshire", "Angst und Schrecken in Miami" und "Die Todesfee kreischt in Florida" sind einige seiner Geschichten aus dem Präsidentschaftswahlkampf Anfang der 70er überschrieben. Hunter war immer mittendrin, und Hunter war nie objektiv. Hunter hat niemanden geschont, am wenigsten sich selbst. Hunter hat die ganz großen Geschichten geschrieben. Geschichten, die mich begleiten wie Freunde, seit ich den ersten Absatz von "Angst und Schrecken in Las Vegas" gelesen habe.
Am Dienstag, 19. Februar, am Vorabend von Hunters 8. Todestag, lädt nun die Crew des Schiffs auf dem Landwehrplatz zu einem literarischen Gonzo-Grog ein. Es gibt Rum, heißes Wasser, aber auch Tee für alle, die etwas zum Vorlesen mitbringen oder einfach nur zuhören wollen. "Für mitgebrachte Texte, die sich als Waffe eignen - ob selbstverfasst oder gefunden - gilt: Sie sind nur verantwortungsfähigen Individuen gestattet, die sich im Zustand der Nächstenliebe befinden", stellt der "Kapitän" des Schiffs, der Schauspieler Boris Pietsch, klar. Die meisten von Hunters Texten taugen als Waffe. Der Kerl war eben gonzo. Und das, was er geschrieben hat, haut mich immer wieder um. "Man sollte sich hüten, ohne Grund einem Freund im Gehirn staubzusaugen", hat Hunter geschrieben. Ich glaube, er wollte sagen: Freunde kann man sich nicht aussuchen. Sie sind plötzlich einfach da.
Kontakt zum Autor: E-Mail: m.rolshausen@sz-sb.de. Hunter S. Thompsons Rolling-Stone-Geschichten sind soeben im Heyne-Verlag als Buch erschienen.