In den 80ern war es Modern Talking, in den 90ern war es Pur: Bands, die im Dunstkreis von Jugendzentren und Rockklitschen nicht nur nicht gehört wurden, sondern schlicht den musikalischen Klassenfeind verkörperten. Mindestens. Pur auch nur ansatzweise gut zu finden, wäre vergleichbar damit gewesen, eine Autogrammkarte von Edmund Stoiber in sein Zimmer zu hängen. Das war ganz einfach undenkbar. Eine Platte von Pur war ein musikgewordener Bausparvertrag, ein vertontes Kassengestell, ein Paar quietschende Stützstrümpfe für den Tanz in den Mai. Diese Haltung ist zwar geblieben, aber die Zeiten haben sich geändert. Denn wenn es etwas gibt, das dem Nachwuchs in unserem Haus schnurzpiepe ist, dann meine musikalische Sozialisation. Und so kam es, wie es kommen musste: Auf Irrwegen schaffte es eine CD mit sämtlichen Hits von Pur in die heimische Stereoanlage, wo sie monatelang rauf und runter gedudelt wurde. "Abenteuerland" habe ich gut und gerne 40 000 Mal hören müssen. "Lena" und "Prinzessin" noch öfter. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich beim Abstauben der Minigolf-Trophäen "Ein graues Haar" vor mich hin summe, "Indianer" beim Gang durch den Bioladen pfeife und beim Aqua-Jogging nur "Funkelperlenaugen" im Sinn habe. Pur-Sänger Hartmut Engler hat es sich mit seinem lauwarmen Genöle bei mir gemütlich gemacht. Im Kopf und in der Bude. Mir geht seine Mucke noch immer tierisch auf den Senkel, trotzdem kann ich jede Zeile mitsingen. Diesen musikalischen Klassenkampf habe ich auf ganzer Linie verloren. Jetzt gilt es, alles dafür zu tun, dass niemals eine Scheibe von Modern Talking den Weg zu uns findet. Sollte das misslingen und ich stehe demnächst an der Wursttheke und pfeife "Geronimo‘s Cadillac", gebe ich endgültig auf. Dann ziehe ich meine Stützstrümpfe hoch, putze das Kassengestell und tanze mit dem Bausparvertrag unterm Arm in den Mai. Von mir aus sogar mit Edmund Stoiber.