Die "Schule für alle" bleibt sein Fernziel

Saarbrücken. Die Tränen der Mutter sind unvergessen. Ihr Sohn Klaus bekam keine Empfehlung fürs Gymnasium, trotz passabler Leistungen. Der Grund? Der Dillinger Hüttenarbeiterhaushalt, Kesslers Eltern, passten nicht ins Bild des Volksschul-Lehrers vom idealen gymnasialen Umfeld

Saarbrücken. Die Tränen der Mutter sind unvergessen. Ihr Sohn Klaus bekam keine Empfehlung fürs Gymnasium, trotz passabler Leistungen. Der Grund? Der Dillinger Hüttenarbeiterhaushalt, Kesslers Eltern, passten nicht ins Bild des Volksschul-Lehrers vom idealen gymnasialen Umfeld. Also ging Klaus Kessler 1964 aufs Aufbaugymnasium, machte dort prima Erfahrungen mit seinen Lehrern ("Das hat mir gut getan") und 1970 problemlos Abitur. So klischeehaft sie klingt: In dieser Geschichte steckt der mentale und biografische "Strukturplan" des neuen Bildungsministers, zugleich auch sein politisches Programm. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Abschaffung der verbindlichen Schullaufbahn-Empfehlung.

"Soziale Gerechtigkeit" steht auf Kesslers Fahne, seit er politisch und gewerkschaftlich aktiv ist: "Leute, die was können, sollen unabhängig von ihrer Herkunft zu was kommen", sagt er. Dafür sorgt seiner Meinung nach am besten nicht etwa die jetzige Gesamtschule, die mit ihrer Binnendifferenzierung nach dem siebten Schuljahr die fatale Gliederung in Schulformen abbilde, sondern ein wirklich "integriertes Schulsystem" mit gemeinsamem Lernen bis zum neunten Schuljahr. "Auf diesem Weg brauchen wir Zeit", betont er. Das Zwei-Säulen-Modell der Jamaika-Koalition (Gemeinschaftsschule neben Gymnasium) sei ein erster Schritt.

Selbstverständlich ist damit Kesslers Überzeugungs-Vorrat nicht erschöpft. Solidarität nennt er als einen Grundsatz-Wert. "Ich bin nie ein Egoist gewesen", meint er und erklärt damit auch sein gewerkschaftliches Engagement. Er setze sich effektiver für andere als für sich selbst ein. Das klingt nicht nach Gutmenschentum, sondern nur präzise. Wie alles, was Kessler über sich formuliert. Da hat einer viel nachgedacht.

Kessler war bereits GEW-Landesvorsitzender, als er 1999 zu den Grünen stieß, zu einem "unverdächtigen Zeitpunkt, als sie aus dem Landtag geflogen waren". Also nicht, um Karriere zu machen. Weshalb er auch wenig Verständnis dafür hat, wenn man ihm heute unterstellt, der Ministersessel sei die Erfüllung all seiner Berufs-Wünsche: "So was kann man nicht planen."

Erfolg freilich lässt sich erarbeiten, mit Konsequenz, Gerechtigkeitssinn und Zuverlässigkeit. Dies sind Eigenschaften, die Kessler sich selbst attestiert: als Vater von zwei Söhnen, als Lehrer (Deutsch und Sport) und Oberstudiendirektor an der Gesamtschule Rastbachtal (1981-1994), als GEW-Funktionär. Hört man sich um, loben oder fürchten einige seine Durchsetzungsfähigkeit. Als Minister hat er die Seiten gewechselt, er weiß das. Statt als Arbeitnehmer-Kämpfer tritt er jetzt als Arbeitgeber auf, trägt Verantwortung für rund 8600 Pädagogen. Eine problematische, eine kuriose Situation? Eine Chance, meint er: "Die GEW hat die Gestaltungsmöglichkeiten noch nicht erkannt, die darin stecken." Freilich richten die sich laut Kessler nach Höhe und Breite der "finanziellen Decke, danach müssen wir uns strecken". Verrat an früheren Positionen? "Ich hatte immer eine pragmatische Vorstellung von Politik, keine ideologische. Die Fundamentalisten sind meine Kritiker."

Immerhin: Als Student fing er mal als Idealist an, meinte, mit "Kabarett könne man die gesellschaftliche Realität verändern". Kessler schrieb bis 1990 Programme für die "Filzläuse". Der Golfkrieg desillusionierte ihn final. Er, keineswegs ein Pazifist, ein ehemaliger Zeitsoldat und Reserveoffizier, ließ sich aus Gewissensgründen als Kriegsdienstverweigerer anerkennen. Damals hatte er schon gelernt: "Wer sich duckt, hat vielleicht Erfolg, aber er wird später unzufrieden. Es lohnt sich, Widerstand zu leisten." Leisten könne man ihn sich jedoch am besten, wenn man fachlich fit sei, Substanz besitze. Letzeres stand bei Kessler nie in Frage. Vielleicht erklärt sich aus dieser natürlichen Stärke heraus der rabiate öffentliche Ringkampf mit Ex-Minister Jürgen Schreier? "Er hat mich in die Rolle des Kontrahenten, des antiautoritären Alt-68ers hineingeredet, der ich nie war. Irgendwann habe ich beschlossen: Ich nehme sie an." Dann galt wohl ein anderes Motto: "Wenn ich was mache, dann richtig." Soweit das Politik-Geschäft. Wie steht's mit Kessler privat? Er isst jeden Morgen einen Riesenteller Müsli, geht ins Fitnessstudio, fährt Mountainbike, pflegt eine liebenswerte Schwäche: An schönen Krawatten kommt er nicht vorbei. Er sammelt sie, trägt sie selten. Seit 19 Jahren ist er geschieden, lebt mit einer Lehrerin zusammen, die Söhne (27 und 24 Jahre alt) sind aus dem Haus. Weihnachten verbringt er grundsätzlich bei Freunden in der Provence, kocht und wandert. Lektüre? Satirische Sachen, gerne Ringelnatz und Tucholsky. Geistesschärfe und Humor - nicht die schlechtesten Wegbegleiter. "Ich bin nie

ein Egoist gewesen."

Klaus Kessler, Bildungsminister

des Saarlandes

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