Saartalk „Die Saarland-Wahl war eine Wegmarke“

Was Politikprofessor Uwe Jun, die Journalistin Susanne Höll und der Meinungsforscher Nico Siegel zur Bundestagswahl sagen.

Uwe Jun, Susanne Höll und Nico Siegel diskutierten mit den Chefredakteuren Norbert Klein (SR) und Peter Stefan Herbst (SZ, v.l.n.r.).

Uwe Jun, Susanne Höll und Nico Siegel diskutierten mit den Chefredakteuren Norbert Klein (SR) und Peter Stefan Herbst (SZ, v.l.n.r.).

Foto: BeckerBredel

Der Saartalk ist ein Format von SR und SZ. Diesmal stellten sich der Politikwissenschaftler Uwe Jun, die Journalistin Susanne Höll und der Meinungsforscher Nico Siegel den Fragen der Chefredakteure Norbert Klein (SR) und Peter Stefan Herbst (SZ). Ute Kirch hat das Gespräch in Auszügen dokumentiert.

Herbst: Wie lautet die Botschaft dieser Bundestagswahl?

SIEGEL Es sind zwei Botschaften: Es sind mehr Menschen zur Wahl gegangen, als vor vier Jahren. (...) Gleichzeitig haben die beiden Volksparteien rund 4,5 Millionen Wähler verloren. Da überrascht es nicht, dass die Kleinen, und hier vor allem die, die das repräsentieren, was die Bundesregierung nicht repräsentiert, nämlich in der Flüchtlingspolitik, hinzugewinnen.

Klein: Was war für Sie das Überraschendste als Journalistin?

HÖLL Neben dem Ergebnis, das ich in manchen Punkten etwas anders erwartet hätte, ist es die neue Unordnung. Es gibt eine große Verwirrung in der Bevölkerung, aber auch in der Politik, was man mit den Lektionen der Wähler (...) anfangen soll.

Klein: Angela Merkel und Martin Schulz wirken angeschlagen. Viele in dieser Situation überleben nicht an der Parteispitze...

JUN Bei Angela Merkel sehe ich keine wirkliche Herausforderung personeller Art. (...) Bei Martin Schulz könnte ich mir schon eher vorstellen, dass der ein oder andere unzufrieden ist. Gleichzeitig hat er sich im letzten halben Jahr auch Freunde gemacht.

Klein: Was hat Ihrer Analyse nach den Ausschlag für die AfD gegeben?

SIEGEL Das eine war eine Abrechnung mit den etablierten Parteien. (...) Aber natürlich spielt das Thema Flüchtlinge eine große Rolle.

Herbst: Was bedeutet die Abstrafung der großen Koalition für die Parteienlandschaft?

JUN Die Parteienlandschaft differenziert sich weiter aus. Es gelingt den großen Parteien weniger, die verschiedenen Wählergruppen zu integrieren. Regierungsbildungen werden schwierig. Das bedeutet ein geringeres Maß an Stabilität.

Herbst: CDU und SPD haben zusammen nur knapp über 50 Prozent geholt. Haben Sie das so erwartet?

HÖLL Ich hatte es in dieser Größenordnung erwartet. Ich hätte aber nicht gedacht, dass CDU/CSU so schlecht abschneidet. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass der Anteil der AfD-Wähler in Baden-Württemberg und Bayern, den wohlhabendsten Ländern, so hoch sein könnte.

SIEGEL Das hat uns überhaupt nicht überrascht. Wir haben dort in den 1990ern mit den Republikanern eine entsprechende Kraft gehabt (…). Es heißt nicht, dass jemand arm sein muss, um zu sagen, ich bin mit dieser großen Koalition unzufrieden.

Klein: War es konsequent, dass die SPD sich in die Opposition verabschiedet hat?

JUN Das war eine Haltung, die nachvollziehbar ist, weil sie dadurch weitere Personaldiskussionen mehr oder weniger erst Mal vermeidet. (…) Aber ich glaube nicht, dass es so einfach ist, dass die SPD nun in der Opposition den Geist des Rechtspopulismus vertreibt.

Herbst: Kann Jamaika funktionieren?

JUN Das kann funktionieren, wenn alle Beteiligten die nötige Kompromissbereitschaft und auch die Konsensfähigkeit haben. (...) Die größten Schwierigkeiten sehe ich bei der CSU, da in naher Zukunft eine Bayern-Wahl ansteht und die CSU nichts mehr scheut, als die absolute Mehrheit zu verlieren.(...) Bei der FDP darf man nicht das Trauma von 2013 vergessen, dass man aus dem Bundestag fliegen kann, wenn man nicht mehr liefert. (...) Bei den Grünen sehe ich hingegen eine recht hohe Bereitschaft mitzumachen.

Herbst: Warum hatte Martin Schulz nie eine ernsthafte Chance? War die Saarland-Wahl eine Wegmarke?

HÖLL Ich bin mir sicher, dass die Saarland-Wahl eine Wegmarke war. (…) Ich glaube, dass sich viele Menschen im Januar mit der Begeisterung für Schulz haben anstecken lassen von der Begeisterung der SPD, die wir lange nicht gesehen haben. Aber dass eine Partei, die über Jahre hinweg ständig abgenommen hat, sich gegen diese Kanzlerin durchsetzen kann mit der AfD als Stimmenwegnehmerin im Rücken, habe ich immer für illusionär gehalten.

SIEGEL Die Inthronisierung von Martin Schulz war medial hervorragend inszeniert. (…) Das ist dann sukzessive gebröckelt. Es lag auch daran, dass ein Thema wie soziale Gerechtigkeit in der allgemeinen Formulierung nicht zündet. Da braucht es die Macht des Konkreten.

Herbst: Bleibt die SPD dabei, in die Opposition zu gehen?

JUN Ich habe vor der Wahl erwartet, das die SPD in die Opposition geht, aber gesagt, vielleicht hält sie sich ein Türchen offen und sagt, wenn die Jamaika-Verhandlung nicht klappt, kann Frau Merkel uns anrufen (…) Ich würde es noch nicht vollständig ausschließen.

HÖLL Falls irgendwas bei Jamaika nicht funktioniert, was ich derzeit nicht erwarte, weiß ich, dass die deutsche Sozialdemokratie (…) sich auf Dauer nicht verweigern könnte. Das wäre aber das Ende des Parteivorsitzenden Schulz.

Klein: Sie haben vor der Wahl von „Lindners riskanter Solonummer“ geschrieben. Gibt es hinter ihm keine ministrablen Menschen?

HÖLL (...) Er und die FDP haben das Problem, dass sie kaum regierungserfahrenes Personal haben. Es ist etwas anderes, Wahlkampf zu machen, als ein Ministerium zu führen.

Klein: Die Linke hat den Nimbus der Protestpartei verloren,..

JUN Ja, sie musste ihn zum Teil an die AfD abgeben. Das ist eine strittige Frage innerhalb der Partei: Will man regieren oder nicht? Und wenn ja, unter den Bedingungen der Linken. Dann gibt es andere, die sind pragmatischer.

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