Die Kuntzes gehen, ihr Haus bleibt

Saarbrücken. Der Arbeitstag hat 16 Stunden, der freie Sonntag beginnt nach dem Mittagsgeschäft um 18 Uhr. Weihnachten, Geburtstage, Feiertage, Hochzeiten finden ohne die Kuntzes statt. Schön war das, rund 40 Jahre (!) lang, schön anstrengend

 Jutta und Peter Kuntze in ihrem Handelshof. Foto: Oliver Dietze

Jutta und Peter Kuntze in ihrem Handelshof. Foto: Oliver Dietze

Saarbrücken. Der Arbeitstag hat 16 Stunden, der freie Sonntag beginnt nach dem Mittagsgeschäft um 18 Uhr. Weihnachten, Geburtstage, Feiertage, Hochzeiten finden ohne die Kuntzes statt. Schön war das, rund 40 Jahre (!) lang, schön anstrengend. Aber irgendwann hat sich Jutta Kuntze (64) ein Maßband hingelegt, 80 Zentimeter beziehungsweise Jahre abgemessen - und in der ihr eigenen zupackenden, unsentimentalen Art festgestellt: Die letzten "guten" 15 Zentimeter, die ihr womöglich noch bleiben, "dieses kleine Rest-Stückchen Leben, das will ich noch für mich behalten". Um zu golfen, ein Ferienhaus einzurichten oder um durch die Welt zu jetten?"Wir wollen endlich mal in Ruhe basteln", sagt Jutta Kuntze. Sie Miniaturmöbel für eine Art Puppenstuben-Haus, er Modelleisenbahnen. Krasser könnte der Kontrast kaum ausfallen zu dem Bild, das man sich macht von einem erfolgreichen Gastronomen-Ehepaar, das mit den Chefs aus Wirtschaft und Politik verkehrt. Auf Du und Du? Nein: Von Sie zu Sie. Schickimickis gehen woanders hin. Trotzdem gilt Kuntzes Restaurant als eine der ersten Adressen in der Landeshauptstadt. 1980 haben sie es in einem denkmalgeschützten Stengelhaus in Alt-Saarbrücken genauso eingerichtet, wie es heute noch ist.

Die Abschlüsse, die bei Kuntzes im Blauen Salon gemacht wurden, von Bank-Vorständen oder Stahlindustrie-Managern, sind Legion, legendär - und ein Geheimnis. Diskretion ist ein wichtiges Pfund. Und dass die Staatskanzlei mit prominenten Gästen vorbeikommt, hat auch seinen Grund: "Dass es keine Pannen gibt", mutmaßt Jutta Kuntze. Das gehobene Ambiente zählt sicher auch, die stilvollen Tischdekorationen der Chefin. Gelb und Weiß die Grundfarben, alte Stiche in Goldrahmen, Stuck an den Decken, ein Marmorkamin, eine verschwenderische Orchideen-Ecke - dieses Lokal hat allen "Styling"-Trends getrotzt.

Der Service funktioniert mit gleich bleibender Professionalität, die Küche bietet das, worauf sich die Gäste freuen: Kuntzes Hits von der Gänseleber über die Fischsuppe bis zur Apfeltarte zum Espresso. Doch all diese Erfolgsfaktoren wären nichts ohne die Chefin: gesprächsgewandt, bestens gekleidet - es wäre eine Untertreibung, Jutta Kuntze die "Seele" des Lokals zu nennen. Sie ist eine Autorität, sie schmeißt den Laden - mit einer Mischung aus Resolutheit und Zuvorkommenheit. Mitunter bestimmt sie gar die Menü- und Weinauswahl des Gastes: "Das Kartoffelsüppchen nehmen Sie doch immer."

60 Prozent der Gäste sind Stammkunden. Die Beständigkeit, die die Kuntzes pflegen, bedeutet jedoch kein Stehenbleiben, sondern einen zeitgemäßen, sanften Wandel. Molekularküche gibt's bei ihnen nicht. Aber die frühere sahnesatte "Nouvelle Cuisine", mit der sich Peter Kuntze in der Saarbrücker Fröschengasse in den Siebzigern einen Stern erkochte, die ist längst einer leichten Variante gewichen. "Um heute einen Stern zu kriegen, muss man verrückter kochen als ich", meint der Küchenchef. Ungern lässt sich Peter Kuntze von den Töpfen ins Lokal locken. Er ist nun mal das Gegenmodell zum Fernsehkoch-Entertainer.

Kuntze hat im Schwarzwald noch richtig kernig-gutbürgerlich kochen gelernt. 1967 traf er in Wiesbaden im Nassauer Hof seine Frau, die Hotelkauffrau lernte, und zog mit ihr nach Berlin (Hilton, Kempinski). Bis ein Patenonkel, der den Trend der guten Küche witterte, die beiden ins Saarland holte. Im "Handelshof" fanden sie ihre ideale Wirkungsstätte. Im Januar fiel die Entscheidung, sich zu trennen. Sie wurde erleichtert, als sich Khalib Arabe und Annette Krautkremer meldeten - ein Paar mit Ambitionen - und Respekt vor Tradition.

Die beiden Gastronomen Khalib Arabe und Annette Krautkremer wollen den Handelshof nicht neu erfinden, übernehmen den Einrichtungsstil sowie das gesamte Service- und Küchenpersonal. "Es ist ein Glücksfall", sagen die Kuntzes. Sie haben ihn sich verdient.

Auf einen Blick

Die neuen Pächter sind Annette Krautkremer (48) und Khalib Arabe (48). Sie führen seit 2004 das "Forsthaus Neuhaus" (zwischen Riegelsberg und Saarbrücken-Rußhütte), das einen sehr guten Ruf genießt. Sie bieten dort eine Ausflugs-Lokal-Karte wie auch gehobene Küche. Das Ehepaar führte bereits mehrere Lokale, unter anderem das Légère in Saarbrücken und die Riegelsberghalle.

Im Handelshof möchte sich Arabe jetzt ganz auf die anspruchsvolle Küche konzentrieren. "Das Lokal ist eine Institution, und wir wollen das in Ehren halten", sagt Krautkremer.

Nach einer kurzen Renovierungsphase soll der Handelshof im Februar 2013 unter der neuen Leitung eröffnen. ce

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