Die Kinder der Kohle teilen ihr Schicksal

Petite-Rosselle. Viele junge Leute wissen kaum noch etwas über den Bergbau, haben Studien zur Identität in Lothringen schon vor einigen Jahren festgestellt. Doch will sie überhaupt noch jemand hören, die ollen Kamellen von früher, von der mühseligen Arbeit unter Tage? Der "letzte Bergmann" von Petite Rosselle hat daran seine Zweifel - und hat sich wieder einmal getäuscht

 Premiere hat jetzt das Freiluftspektakel "Kinder der Kohle" in Petite Roselle gefeiert. Foto: SZ/ver

Premiere hat jetzt das Freiluftspektakel "Kinder der Kohle" in Petite Roselle gefeiert. Foto: SZ/ver

Petite-Rosselle. Viele junge Leute wissen kaum noch etwas über den Bergbau, haben Studien zur Identität in Lothringen schon vor einigen Jahren festgestellt. Doch will sie überhaupt noch jemand hören, die ollen Kamellen von früher, von der mühseligen Arbeit unter Tage? Der "letzte Bergmann" von Petite Rosselle hat daran seine Zweifel - und hat sich wieder einmal getäuscht. Schon im sechsten Jahr feierten die "Kinder der Kohle" am Freitag Premiere. Und erneut lockte das Freiluftspektakel über 2000 Besucher auf das Gelände des Grubenmuseums Carreau Wendel in Petite Rosselle.Nicht nur aus der näheren Umgebung diesseits und jenseits der Grenze, sogar aus Nancy, dem Bitcherland und der Gegend von Thionville waren sie busweise gekommen, um sich die uralte Geschichte von der Suche des Menschen nach dem schwarzen Gold anzusehen. "Erzähl!" ermuntert die Autorin und Regisseurin Sylvie Dervaux in der Rolle der Gattin zum Auftakt ihren Bergmann, den letzten seiner Art. Auf Deutsch kann man den weiteren Dialog der beiden über Kopfhörer hören. Und während hinterm Förderschacht Vuillemin langsam der Mond aufgeht, formieren sich auf der riesigen Freifläche über 200 Laiendarsteller, um in 28 lebenden Bildern, unterlegt mit verblüffenden Feuerwerks- und Laserlichteffekten und dramatischer Musik, eine Ära Revue passieren zu lassen, die in der Steinzeit beginnt und mit dem optimistischen Ausblick auf die erneuerbaren Energiequellen endet. Und dennoch ist dieses Schauspiel in erster Linie eine Huldigung an den Bergmann und seine Familie, an die Härte der Arbeit, die er leistete, seinen Mut und die Kameradschaft der Kumpels.

Schlaglichtartig geht es durch die Jahrhunderte: Die Entdeckung des Feuers, die erste Suche nach Kohle über Tage, die ersten Funde in Lothringen, die Frauen als Kohleleserinnen, Grubenunglücke durch Wasser wie Methangas, die Vertreibung der Mosellaner im Zweiten Weltkrieg, die "Libération" durch die amerikanischen GIs, Aufschwung und Niedergang bis hin zu den militanten Protesten vorm Werkstor. . .

Beeindruckend schafft man es hier, kleine und große Geschichte miteinander zu verbinden. Da galoppiert Napoleon auf einem Hengst herbei, darf de Gaulle als Grußonkel in der Staatskarosse vorfahren, das Hauptaugenmerk gilt aber den "kleinen Leuten", ihrem Alltag: mit Tanzfesten, St.-Barbara-Prozession bis hin zum Lothringer Karneval. Erstaunlich, wie souverän die Regisseurin all diese Massen lenkt. Mit Tanzgruppen bringt Choreografin Michèle Meftah zusätzlichen Schwung in die Szenerie. Für authentische Wirkung sorgen liebevoll gearbeitete, teils originale Kostüme und Requisiten.

Der Bergmann ist zwar heute Vergangenheit, doch seine Werte bleiben und: wir alle sind Kinder der Kohle, lautet die Botschaft dieser wohl erfolgreichsten kulturellen Bürgerinitiative in Lothringen - die zunehmend auch Saarländer integriert. "Das ist eine einmalige Sache, wie man sie in Deutschland nicht findet," sagt Jürgen Bohnenberger aus Püttlingen, der im Stück als Bergmann figuriert und im wirklichen Leben bei der DSK arbeitet. Lothar Hotz, der sonst in Völklingen an der Walzstraße steht, und zum ersten Mal mitmacht, bewundert, dass die französischen Kumpels viel mehr für ihre Sache zu kämpfen bereit waren. Ludwig Speicher aus Großrosseln, steht hier schon seit Jahren zusammen mit Frau und Sohn auf der Bühne. "Man wird hier aufgenommen wie in einer einzigen großen Familie," schwärmt der Bergmann im Vorruhestand von der besonderen Atmosphäre, die auch über die Rampe kommt.

Termine: 26. bis 29. August, 21.30 Uhr, Mine Carreau Wendel Petite Rosselle. Karten bei Kultour (06 81) 58 82 22 22.

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