Die erste Autisten-WG

Heusweiler. Nur 600 Meter sind es von der Eisenbahnstraße in Heusweiler bis zum Ortskern. 55 Häuser stehen in der engen, verkehrsberuhigten Straße. Eines davon gehörte einem Arzt. Es wurde kürzlich verkauft: Der Mediziner fürchtete einen Wertverlust

 Selbstversorgung gehört mit zum Konzept für die neue Spezial-Wohnstätte in Heusweiler, in der 16 erwachsene Autisten leben sollen. Foto: Jürgen Bone

Selbstversorgung gehört mit zum Konzept für die neue Spezial-Wohnstätte in Heusweiler, in der 16 erwachsene Autisten leben sollen. Foto: Jürgen Bone

Heusweiler. Nur 600 Meter sind es von der Eisenbahnstraße in Heusweiler bis zum Ortskern. 55 Häuser stehen in der engen, verkehrsberuhigten Straße. Eines davon gehörte einem Arzt. Es wurde kürzlich verkauft: Der Mediziner fürchtete einen Wertverlust. Denn ab 2014 kommen 16 neue Nachbarn hinzu: Menschen mit autistischen Störungen beziehen die erste eigens für sie konzipierte Spezial-Wohnstätte des Saarlandes. Über 20 Jahre haben die Eltern der Autisten darauf hingearbeitet. Denn sie wussten: "Irgendwann können wir nicht mehr", so Irene Thimmel-Philippi, Gründerin des Landesverbandes Autismus Saar. Sie meint das Rund-um-die-Uhr-Dasein für die Kinder. Der Betreuungsaufwand lässt sich höchstens noch mit dem für Demenz-Kranke vergleichen. Autisten sind nicht eben pflegeleichte, sondern herausfordernde Behinderte, die jede Minute Begleitung brauchen. Sonst bekommen sie Krämpfe, schlagen schon mal was kaputt, nässen sich ein oder zerreißen ihre Kleider. In der Heusweiler Wohnanlage wird es einen Eins-zu-Eins Personalschlüssel geben. Bis zu 300 Euro am Tag kostet ein Platz. Der Saarländische Schwesternverband ist Bauträger und investiert 2,5 Millionen Euro.Zunächst gab es Widerstand in Heusweiler. Ins Feld geführt wurde der erhöhte Verkehrslärm-Pegel, den rund 30 Mitarbeiter verursachen würden. Vermutlich ging es auch um das Naheliegende: Begegnungs-Ängste. "Die Beunruhigung der Anwohner war nachvollziehbar", sagt Elisabeth Maas, die die neue Einrichtung führen soll. Sie veranstaltete Info-Abende, die Anlage sei jetzt akzeptiert, meint Maas. Die junge Familie, die das Haus des Arztes kaufte, hat sich beispielsweise nach einer ehrenamtlichen Mitarbeit erkundigt.

"Wir werden keine Zwangs-Inklusion betreiben", sagt Lieselotte Büttner, im Vorstand zuständig für die neue Wohnstätte. Es wird also keine Cafeteria geben: "Ich habe auch keine Zuhause. Behinderte sollen so normal wie eben möglich in der Gemeinschaft leben und wohnen." Früher war das anders: Autisten landeten in Heimen oder in der Psychiatrie. Es ist das, was die Eltern heute noch fürchten. Büttner berichtet von über 80-Jährigen, die "verzweifelt" warteten, weil ihre Kräfte nachlassen. "Die meisten Heime sind nur Verwahranstalten, doch Autisten muss man fördern, es braucht ein Konzept", sagt Alexandra Sabi-Roth. Ihre Tochter (33) und der Sohn (30) von Magret Theobald (57) werden derzeit zwischen acht und 15 Uhr in der Autisten-Tagesstätte des Schwesternverbandes in Fraulautern betreut. "Seitdem ist es nur aufwärts gegangen", sagt Margret Theobald. Beide Mütter haben sich auf die Liste der 35 Bewerber für Heusweiler setzen lassen. Doch das Loslassen fällt schwer. Mehr Kurzzeit-Unterbringungs-Plätze wären deshalb fast wichtiger, hört man denn auch. Sabi-Roth sagt: "Für Familien, die Alte betreuen, gibt es das Angebot. Wir können unsere Kinder aber nirgendwo mit gutem Gewissen abgeben." Für Heusweiler ist gerade mal ein (!) Kurzzeit-Platz eingeplant. Die Zahl der Autisten im Saarland wird auf 300 bis 450 geschätzt.

Diese Menschen können nur kleine Gruppen ertragen, brauchen eine reizarme Umgebung und klare Strukturen. Auch architektonisch. Der Püttlinger Willi Latz, selbst Vater eines autistischen Kindes, hat eine Wohnanlage aus vier einstöckigen, miteinander verbundenen Bungalows entworfen - vier WG's, wenn man so will. Spiegelnde Oberflächen sind ebenso verboten wie grelle Farben, bruchsicheres Glas wird verbaut. "In Heusweiler entsteht ein Zuhause auf Dauer", sagt Büttner. Wer dort einzieht, soll dort auch alt werden. "Wir werden keine Zwangs-

Inklusion betreiben."

Lieselotte Büttner, Schwesternverband

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